Frauen auf Rädern - Wie Radfahren Frauen emanzipierte


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Jun 24 2024 22 mins   817 0 1

Fahrradfahren macht mobil - und damit frei. Das passte Ende des 19. Jahrhunderts nicht zum Bild der passiven, schwachen Frau. Mediziner diskutierten Folgen für die Gebärfähigkeit, Gesellschaft und Kleiderordnung machten die ersten Touren von Pionierinnen zu Spießroutenfahrten. Von Axinja Weyrauch

Credits
Autorin dieser Folge: Axinja Weyrauch
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Amberger, Hemma Michel, Peter Weiß, Katja Schild
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Yvonne Maier

Im Interview:
Dörte Florack, HistorikerinNoch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecherin

Angeline hat nie Fahrradfahren gelernt. Nun sitzt sie auf einem Fahrrad, Trainerin Jess hält sie hinten am Gepäckträger fest.

Zsp A Angeline und Jess

„nach vorne nach vorne“

Sprecherin

Angeline schiebt an, findet die Balance, tritt in die Pedale

Und irgendwann, lässt Trainerin Jess einfach los.

Zsp A Angeline und Jess

„sehr schön, immer nach vorne, und dann Bremsen

„Das hast du alleine gemacht“

– Jubel!“ Freude, Kindergarten here I come“

Musik 1

"Los mundos sutiles (Part II)" - Album: Los mundos sutiles - Komponist und Ausführender: Pascal Gaigne - Zeit: 0'26

Sprecherin

Die junge Frau aus Kenia ist gerade das erste Mal in ihrem Leben Fahrrad gefahren. Sie macht zusammen mit anderen Frauen mit Migrationsgeschichte einen Fahrradkurs auf der Theresienwiese in München. Jess ist die Trainerin der Organisation Juno, die den Kurs anbietet.

OTON B Jess

In Deutschland das Fahrrad spielt eine große Rolle, viele lernen als kleine Kinder. So viele Deutsche fühlen sich wohl beim Fahrradfahren. Aber als Migranten… es gibt verschiedene Mobilitätskulturen in verschiedenen Ländern. Und auch für Frauen insbesondere, in vielen Ländern ist Fahrradfahren nicht selbstverständlich oder es ist tabu oder sogar verboten. Und hier darf man das als Frau, ich glaube, es gibt mentale Barrieren als auch psychische, weil das ist als Erwachsene noch schwieriger.

Sprecherin

Abeer zum Beispiel kommt aus dem Irak.

Zsp C Abeer

Bei unserer Heimat wir haben nicht Fahrradfahren gelernt, weil einfach es ist keine Fahrrad. Oder viele Familien darf nicht die Mädchen Fahrradfahren oder so. Aber meine Kinder und auch mein Mann alles kann fahren. Und ich will auch mitfahren.“

Sprecherin

Das Fahrrad bietet Freizeitwert – ein Erlebnis. Aber auch mehr Möglichkeiten im Alltag.

Zsp D Abeer

Zum Schule abholen, mit Fahrrad ganz schnell. Zu Fuß ich brauche halbe Stunde, 20 Minuten.

Sprecherin

Etwas, was den meisten hierzulande recht banal vorzukommen scheint – mal eben schnell mit dem Radl zum Bäcker oder das Kind abholen – bedeutet für diese Frauen eine ganz neue Freiheit.

Musik 2

"Is she dead?" - Komponist: Alexandre Desplat - Album: Tamara Drewe (Original Soundtrack) - Länge: 0'28

Sprecherin

Diese Freiheit auf zwei Rädern gibt es etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts – in dieser Zeit verbreiten sich die ersten Modelle langsam in der Gesellschaft. Wer sich die damalige Gesellschaft anschaut, wundert sich wahrscheinlich nicht, dass die erste Laufmaschine, später das Veloziped, das Hochrad und auch das erste Niederrad – alles Erfindungen auf dem Weg zum heute bekannten Fahrrad – nicht für Frauen gemacht sind.

ZSP OT 01 Florack

Als das Fahrrad auf die Welt kam, war es männlich.

Sprecherin

Die Historikerin Dörte Florack hat ein Buch über die Anfänge des Frauenradfahrens im Deutschen Reich geschrieben. Das war kurz vor der Jahrhundertwende. Alle ersten Modelle …

ZSP OT 02 Florack

sind entwickelt worden für Männer. In ihrem üblichen, wie darf man sich verhalten und wie darf man sich kleiden und wie kann ich so ein Sportgerät oder so ein Fortbewegungsmittel verwenden.

Sprecherin

Und das macht es für Frauen zunächst nicht so einfach. Das liegt zum einen an gesellschaftlichen Erwartungen an die Frau – aber zum anderen auch ganz praktisch: An ihrer Kleidung.

Musik 3

"Demonstration" - Album: Suffragette (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'58

Sprecherin

Mit einem langen Rock auf ein Fahrrad mit hoher Stange zu steigen, ist auch heute nicht besonders praktisch. Damals aber tragen Frauen nicht einfach Röcke, sondern mehrlagige, sehr weite Röcke – an ihnen hingen mehrere Quadratmeter Stoff. Damit auf ein Hochrad zu steigen, dessen Sattel sehr nah am riesigen Vorderrad ist – undenkbar.

Zitatorin Amalie Rother

Auf den Gedanken, die Kleidung der Maschine entsprechend anzupassen, das heißt, in Hosen zu fahren, wären damals selbst die Kühnsten unter uns nicht geraten.

Sprecherin

Schreibt Amalie Rother in einem Aufsatz 1897. Sie hat einen Frauen-Fahrradklub in Berlin gegründet.

Zitatorin Amalie Rother

In Berlin dürften meine Freundin Clara Beyer und ich die ersten Damen gewesen sein, die sich dem entsetzten Volke auf dem Rade zeigten, und zwar auf dem Dreirad. Das war 1890.

Sprecherin

Zwar beschreibt Amalie Rother es an der Stelle nicht eindeutig – vermutlich tragen die beiden aber lange Kleider und sind deswegen aufs Dreirad gestiegen, das funktioniert mit Rock besser. Trotzdem: Bei ihrer ersten Ausfahrt innerhalb Berlins sind sie eine Provokation.

Musik 4 :

"Lost" - Ausführende: Ben Salisbury & Geoff Barrow- Album: Civil War (Original Score) - Länge: 0'41

Zitatorin Amalie Rother

„Sofort sammelten sich hunderte von Menschen, eine Herde von Strassenjungen schickte sich zum Mitrennen an, Bemerkungen liebenswürdigster Art fielen in Haufen, kurz, die Sache war das reinste Spiessrutenlaufen, so dass man sich immer wieder fragte, ob das Radfahren denn wirklich alle die Scheusslichkeiten aufwöge, denen man ausgesetzt war.“

Sprecherin

Und weiter schreibt sie:

Zitatorin Amalie Rother

„Alles Verweisen auf Reiterinnen, Schlittschuhläuferinnen half nichts, Radfahren war und blieb "unweiblich". Einen vernünftigen Grund, warum, konnte natürlich niemand angeben.“

ZSP 3 OT Florack

„Es gab die Vorstellung einer Geschlechterverschiedenheit und einer Geschlechterhierarchie. Und zur Verschiedenheit gehörte, dass Männern und Frauen verschiedene Sphären zugeschrieben waren.“

Sprecherin

Als das Fahrrad sich in bürgerlichen Kreisen verbreitet, herrschen klare Rollenvorstellungen.

Zsp 4 OT Florack

„Dem Mann war die Kultur zugeschrieben, die Erwerbsarbeit, er galt als aktiv, ihm war Kraft zugeschrieben. Während der Frau umgekehrt die Natur, die Hausarbeit, sie galt als passiv und Schwäche zugeschrieben war. Dazu passte es natürlich gar nicht, sich auf ein Fortbewegungsmittel zu setzen, das ja irgendwie auch Sportgerät war.“

Musik 5:

"Demonstration" - Album: Suffragette (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'17

Sprecherin

Das Fahrrad verbreitet sich zunächst nur in den sozial besser gestellten Kreisen. Es ist eine spannende Zeit: Zwar sind die Rollenbilder extrem starr, doch erste Frauenrechtlerinnen hinterfragen das gesellschaftliche Korsett, in dem sie sich bewegen.

MUSIK 6

"Biggest Shagging" - Komponist: Alexandre Desplat - Album: Tamara Drewe (Original Soundtrack) - Länge: 1'09

Sprecherin

Dazu gehört in den USA beispielsweise Caroline, mit Künstlernamen Elsa von Blumen. Sie steigt mit Hosen aufs Hochrad – in einer Zeit, in der Sport für die allermeisten Frauen kein Thema war. Sie beginnt ihre Karriere als Läuferin um ihr Kränkeln zu bekämpfen. Mit dem Hochrad tritt sie zu Wettbewerben an: Zum Jahreswechsel 1885 auf 1886 sind zwei Männer ihre Gegner - die aber als Team fahren und sich so immer abwechseln. Elsa von Blumen fährt 590 Kilometer in 51 Stunden – und gewinnt. Über die Jahre nimmt sie an vielen Wettbewerben teil und stößt auf gemischte Reaktionen. Die Lokalpresse feiert sie oft – aber immer wieder rennen ihr Männer hinterher, sie stürzt mehrere Male. Bei einem Rennen wirft ihr ein Mann einen Stock zwischen die Speichen. Trotzdem wird sie Zweite.

In einem Interview sagt Elsa von Blumen:

Zitatorin Elsa von Blumen

„Indem ich mit meinen Bicycle-Übungen vor Publikum auftrete, biete ich meinem Verständnis nach nicht bloß die aktuell modernste und faszinierendste Unterhaltung, sondern demonstriere auch den großen Bedarf nach Körperkultur und Körpertraining, besonders der jungen amerikanischen Damen.“

Sprecherin

Die meisten bürgerlichen Frauen trauen sich nicht sofort, einfach Hosen zu tragen. Durch das Fahrrad wird eine Entwicklung losgetreten, die den langen Rock zumindest etwas praktischer macht – etwas kürzer, etwas weniger weit geschnitten, manche Frauen nähen sich Ziehbänder in den Rock. Und denken sich ganz neue Modelle aus.

ZSP 5 OT Florack

„Dann gibt es den Rock mit Unterbeinkleidern. Also eine Art Pumphose drunter, das hatte schon die Gefahr, dass sich die Oberschenkel abzeichneten. Dann gab es sowas wie Hosenröcke, sehr weit in den Beinen, da war die Gefahr, dass man den Schritt sehen konnte, sodass mitunter vorne ein Tuch drüber gespannt wurde, damit das eben nicht geschah.“

Sprecherin

In Deutschland gibt es in den 1890er Jahren zwei Fahrradzeitschriften speziell für Frauen. In „Der Radlerin“ und der „Draisena“ werden verschiedene modische Möglichkeiten diskutiert, das Radgewand praktisch zu gestalten, aber trotzdem noch den Konventionen zu entsprechen.

Eine Idee waren „Verwandlungskostüme“. Beispielsweise eine Pumphose, die mit extra Stoff und Knöpfen schnell zu einem Rock umfunktioniert werden kann.

Pumphosen ohne alle Rock-Umbaumöglichkeit sind die gewagteste Form, mit der sich nach und nach Frauen aufs Fahrrad trauen.

Neu erfinden müssen sie sie nicht – etwa vier Jahrzehnte vorher schon sind sie Thema in der US-amerikanischen Frauenbewegung. Dort werden sie Bloomers genannt - der Name geht auf die US-amerikanische Frauenrechtlerin Amelia Jenks Bloomer zurück.

Sie setzt sich dafür ein, den Dresscode für Frauen zu lockern und praktischer zu gestalten. Eine Entwicklung, die auch in den USA nicht jedem gefällt.

Musik 7

"Subliminal" - Album: Lasa & Zabala (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführende: Pascal Gaigne - Länge: 0'35

Sprecherin

Allein die Angst davor, dass Lehrerinnen demnächst den langen Rock gegen Hosen eintauschen könnten, treibt die örtliche Schulbehörde zuständig für Flushing auf Long Island in den USA dazu, drei Lehrerinnen das Fahrradfahren zur Schule zu verbieten. Ein Behördenmitarbeiter sagt laut eines Zeitungsartikels:

Musik 8

"Full Tense" - Album: Requiem for a Dream (Soundtrack from the Motion Picture) - Komponist: Clint Mansell - Länge: 0'44

Zitator Zeitungsartikel Behördenmitarbeiter

„Es ist nicht recht, dass Frauen das Fahrrad fahren. Sie tragen natürlicherweise Röcke, aber wenn wir sie jetzt nicht stoppen, dann wollen sie im Stil der New Yorker Frauen fahren und Bloomers tragen. Wie würden dann unsere Klassenzimmer aussehen, wenn die Lehrerinnen in Bloomers zwischen den Mädchen und Jungen umhergehen. Sie könnten ebenso gut Männerhosen tragen. Ich vermute, dass es so weit noch kommen wird, doch wir sind entschlossen, rechtzeitig unsere Lehrerinnen zu stoppen, bevor sie so weit gehen.“

Sprecherin

Doch einige Frauen gehen tatsächlich so weit, ziehen Bloomers an und trauen sich damit aufs Fahrrad. Aber viele von ihnen ziehen sich nach dem Radeln direkt wieder um. Das heißt, das Fahrrad schafft etwas, was dem Pferd mit seinem Damensattel nicht gelang: Zumindest zeitweise tauschen manche Frauen öffentlich sichtbar Rock gegen Hose – aber die gesellschaftliche Konvention wird – vor allem in Deutschland - durch das Fahrrad nicht sofort gebrochen. Auch Amalie Rother, die Pionier-Radlerin aus Berlin, spricht sich gegen Hosen fernab vom Fahrrad aus.

Die Radlerinnen erkämpfen sich zwar das Fahrradfahren – aber nicht alle von ihnen wollen auch fernab der zwei Räder Konventionen brechen. Manche Frauen wollen wohl einfach die schöne Ausfahrt ins Grüne genießen und nicht gleichzeitig die Gesellschaft revolutionieren.

Die Modefrage ist in Sachen Rock außerdem nicht mehr so wichtig, als sich das Rad mit niedrigem Einstieg verbreitet.

Amalie Rother, die Berliner Fahrradpionierin aus Berlin schreibt darüber:

Zitatorin Amalie Rother

„Ich bin gewiss heute keine Freundin des eben so hässlichen, wie unpraktischen Damenrades, aber das steht fest: Ohne diese Maschine hätte das Damenfahren nie den jetzigen Aufschwung genommen, die besseren Kreise hätten sich viel schwerer zum Fahren entschlossen“.

Sprecherin

Aber es gibt noch ein anderes Kleidungsstück, dem manche Radlerinnen den Kampf ansagen – auch Amalie Rother:

Zitatorin Amalie Rother

„Das erste, was unbedingt in die Rumpelkammer muss, ist das Korsett. Tiefes, lebhaftes Atmen, wie es das Radfahren verlangt, kann nur geschehen bei voller Ausdehnung des Brustkorbes.“

Sprecherin

Im 19. Jahrhundert gilt die Wespentaille als Schönheitsideal. Vor allem wohlhabendere Frauen greifen zu dem Kleidungsstück mit eingenähten Drähten, was so eine aufrechte Haltung erzwingt.

Nicht einfach, damit Fahrrad zu fahren.

Der neue Sport entfacht eine Diskussion über das Korsett, die es teilweise schon gab. Manche Mediziner warnen schon länger vor Konsequenzen für die Organe, die Atmung und die Rippen. Als Alternative wird das Reformkorsett empfohlen, etwas weiter geschnitten und dehnbar, oder Büstenhalter.

Laut Historikerin Dörte Florack wird die Diskussion um das Korsett vor allem von Medizinern geführt. Dabei geht es zum einen um gesundheitliche Aspekte – aber manche Ärzte kommentieren auch die Ästhetik, beispielsweise, dass auch das Reformkorsett selbst „starken Frauen“ eine hübsche Figur verleihen solle.

ZSP 6 OT Florack

„Die Mediziner haben die Priester abgelöst als Hauptkommentatoren gesellschaftlicher Entwicklungen. Somit hatten sie Gewicht.“

Sprecherin

Und als Hauptkommentatoren haben sie noch ganz anderes beizutragen als nur zum Korsett. Zum Beispiel die Frage, ob lange Touren nicht schädlich für das „schwache Geschlecht“ seien.

OT Florack

„Ich hatte vielmals nicht das Gefühl, dass Frauen, dass Radlerinnen überhaupt befragt wurden – sondern es wurde halt über sie geschrieben.“

Sprecherin

Gewarnt wird vor Haltungs- und Organschäden – das gilt auch für Männer. Insgesamt hält man die Frau aber für weniger leistungsfähig. Ein Arzt empfiehlt allgemein für „Vergnügungstouren“ nicht mehr als 50 Kilometer – die gesunde Jugend könne sich aber auch an das Doppelte heranwagen. Für Frauen schränkt er die Richtwerte aber um ein Viertel ein.

Außerdem Gegenstand von Diskussionen – der Unterleib der Frau. Neben der Warnung, das Fahrradfahren könne der Fruchtbarkeit schaden, wird eine These besonders oft zitiert und diskutiert:

1896 schreibt der Arzt Martin Mendelsohn in „Der Einfluß des Radfahrens auf den menschlichen Organismus:

Musik 9/10

"Full Tense" - Album: Requiem for a Dream (Soundtrack from the Motion Picture) - Komponist: Clint Mansell - Länge: 0'41

"Subliminal" - Album: Lasa & Zabala (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführende: Pascal Gaigne - Länge: 0'41

Zitator Mendelsohn

„Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass, wenn die betreffenden Individuen es wollen, kaum eine Gelegenheit zu vielfacher und unauffälliger Masturbation so geeignet ist, wie sie beim Radfahren sich darbietet. Wenn man, was vorgekommen ist, ganz absieht von denjenigen Fällen, in denen der Sattel auf ganz besonderer Absicht mit einem nach oben gekrümmten Vordertheile versehen wurde, so bietet auch sonst der Sitz, rittlings mit ausgespreizten Schenkeln, ausreichende Möglichkeit, solchem Hange nachzugeben.“

Sprecherin

Da Mendelssohn hinzufügt, dass auch Männer ihre Fahrt wegen ständiger Erektionen oft unterbrechen müssen, scheint recht offensichtlich, dass er seine Abhandlung nicht empirisch belegen kann.

Zwar will er das Fahrradfahren nicht ganz verbieten, weil er durchaus auch gesundheitlichen Nutzen sieht. Aber seine These wird vor allem von Kritikern des Radfahrens als Argument genutzt. Einer schreibt, dass Frauen und Mädchen das Radfahren zu „verbotenen Zwecken“ nützten und das Frauenradfahren etwas Unsittliches sei.

Wie sich eine Radlerin benehmen soll – und vor allem, in welcher Gesellschaft sie fahren durfte, ist immer wieder Thema in Zeitschriften und Büchern.

Wenn eine Frau mit Männern unterwegs ist, sollte sie zum Beispiel in der Mitte fahren, damit die Herren die Dame „vor Blicken und sonstigen Gefahren“ schützen können. Um mit nur einem Mann zu fahren, muss es schon ein naher Verwandter oder nahestehender Freund zu sein, der laut einem Text in der Draisena als „ihr Beschützer und Wächter“ schräg versetzt knapp hinter der Frau fahren soll.

Ein besonderes Modell stellt besonders herausfordernde Fragen: Das Tandem. Wer sitzt vorne, wer sitzt hinten?

ZSP 7 OT Florack

„Hier widerspricht sich nämlich einerseits, dass natürlich die Frau vorne zu sitzen hat, weil der Mann ihr doch nicht den Rücken zuwenden darf und sie natürlich den Blick auf die Landschaft haben soll. Und auf der anderen Seite natürlich der Mann derjenige sein muss, der steuert.“

MUSIK 11

"Is she dead?" - Komponist: Alexandre Desplat - Album: Tamara Drewe (Original Soundtrack) - Länge: 0'45

Sprecherin

Alle Bedenken von Ärzten, Modevorschriften oder gesellschaftliche Erwartungen können Frauen über kurz oder lang aber nicht aufhalten, auf Fahrräder zu steigen.

Zitatorin Susan B. Anthony

„Ich denke, es hat mehr für die Emanzipation der Frauen getan als irgendetwas anderes auf der Welt.“

Sprecherin

Sagt die amerikanische Frauenrechtlerin Susan B: Anthony schon 1896 in einem Interview

Zitatorin Susan B. Anthony

„Ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine Frau auf einem Fahrrad sehe. Es gibt Frauen ein Gefühl von Freiheit und Selbstvertrauen."

ZSP 10 OT Florack

„Es wird individuell sehr zur Emanzipation beigetragen hatte, weil sie auf einmal einen ganz anderen Bewegungsradius hatte. Sie konnten beim Sport ihre Kleidung anders gestalten, sie konnten raus in die Natur, sie konnten sich leichter mit Freundinnen treffen. Es wurde manches aufgebrochen. Und ich glaube schon oder bin überzeugt, dass es für manche Frauen durchaus stärkend war.“

Sprecherin

Allerdings sagt die Historikerin auch, dass nicht jede Fahrradfahrende Frau im Deutschen Kaiserreich ihr Tun gleich als politisches, feministisches Statement versteht.

ZSP 11 OT Florack

„Man darf sich jetzt aber keine kämpferische Klientel vorstellen, jedenfalls nicht so, wie es aus den Quellen nachvollziehbar ist. Es gab extra Frauenradzeitschriften, da wurde manches diskutiert, da wurden die medizinischen Auseinandersetzungen und so weiter reflektiert, es wurde auch mal gesagt – in meinen Worten – das ist ja Quatsch. Aber es wird nicht verbunden mit einem: So jetzt müssen wir heraustreten aus dem, was uns als Zwängen auferlegt ist als bürgerliche Frauen.“

Sprecherin

In Deutschland ist das Fahrrad also nicht Symbol und Mittel einer Frauenrechtsbewegung geworden. Anders ist das in Großbritannien.

Alice Hawkins aus Leicester arbeitet um 1900 herum in einer Fabrik – und setzt sich dafür ein, dass Frauen die gleiche Bezahlung erhalten sollen wie Männer. Und: Das Wahlrecht.

Sie gründet den Ableger der WSPU in Leicester – also der Women’s Social and Political Union – besser bekannt als Suffragetten. Um ihre Ideen auch in umliegenden Ortschaften zu verbreiten und sich mit Gleichgesinnten zu treffen, benutzt sie: das Fahrrad. So legt sie Strecken zurück, die zu Fuß nicht möglich gewesen wären.

1907 gründet Flora Drummond die WSPU Cycling Scouts. Jeden Samstag trifft sich die Gruppe auf einem Platz in London und fährt los, auch aus der Stadt raus, um ihre Ideen zu verbreiten.

Dabei tragen die Frauen lila, weiß und grün – die Farben der Suffragetten und Flaggen der Women’s and Social Political Union flattern am Fahrrad.

Nach teils militanten Aktionen ist das Fahrrad auch oft das Mittel zur Flucht – manche Frauen schaffen es so, dem Gefängnis zu entkommen.

Auf Fotos der britischen Suffragetten sieht man sie oft mit Fahrrädern. Manchmal ist das Fahrrad beiläufig dabei, manchmal posieren die Frauen damit.

Das Rad ist damals das einfachste, schnellste und unabhängigste Fortbewegungsmittel für die Frauen. Arbeiterinnen sind in ihrer knapp bemessenen Freizeit sonst zu Fuß unterwegs, Frauen der oberen Schichten verbringen viel ihrer Zeit in Innenräumen oder werden in Kutschen umhergefahren.

Das Beispiel der Suffragetten zeigt, wie wichtig eine unabhängige, schnellere Mobilität für politische Arbeit ist, um sich überhaupt austauschen und vernetzen zu können.

Musik 12

"Los mundos sutiles (Part II)" - Album: Los mundos sutiles - Komponist und Ausführender: Pascal Gaigne - Zeit: 0'29

Sprecherin

Wie sehr das Fahrradfahren emanzipiert, ist auch schon nach wenigen Tagen beim Kurs für Frauen mit Migrationsgeschichte auf der Theresienwiese spürbar. Mittlerweile drehen fast alle Frauen schon sicher ihre Runden auf der riesigen Fläche.

Abeer aus dem Irak ist nicht mehr zu bremsen.

Zsp E Abeer

„Es ist ein sehr schönes Gefühl, dass ich kann Fahrradfahren. Ich fühle mich wie fliegen, wie Vogel“

Sprecherin

Für Angeline aus Kenia bedeutet es

Zsp F Angeline

„Freedom, you feel the air, coming to your face, it is really nice. I think this week we can go have a look for a bike for me“

Sprecherin OV:

Freiheit, man fühlt die Luft im Gesicht, es ist toll. Ich denke nächste Woche können wir nach einem Fahrrad für mich schauen.

Sprecherin

Was sagen die Frauen hier zu dem Satz der Frauenrechtlerin Susan B. Anthony, das Fahrrad hätte mehr für die Emanzipation der Frau getan als irgendetwas anderes auf der Welt?

Zsp G Angeline:

„Yeah Yeah, true, it really opens up. Because imagine I take my son from school, I need 15 Minutes, so it is 30 minutes… in 30 minutes I

can do a lot oft hings. You get more time to do things that matter.“

Sprecherin OV

Ja, das ist wahr, es gibt mehr Möglichkeiten. Wenn ich meinen Sohn zur Schule bringe, brauche ich 15 Minuten, also 30 insgesamt. In 30 Minuten kann ich so viel tun – man bekommt mehr Zeit um wichtige Dinge zu tun.“

Musik 13

"Los mundos sutiles (Part II)" - Album: Los mundos sutiles - Komponist und Ausführender: Pascal Gaigne - Zeit: 0'30

Zsp H Ayyah:

„Ich dachte, ich könnte nicht Fahrradfahren, weil man das als Kind lernen muss. Aber besonders in Arabische Kultur, ist nicht normal das viele Leute Fahrradfahren. Aber jetzt danach, ich hab das Gefühl, ich könnte alles machen.“