„Die haben wir alle gelesen“ – Autorinnen der DDR neu- und wieder entdecken: 90 Jahre Reimann, Wander, Morgner


Episode Artwork
1.0x
0% played 00:00 00:00
Dec 29 2023 41 mins   5
„Im Regal war natürlich die Morgner, die Reimann, die Wander, die waren alle immer im Sortiment. […] Die haben wir alle gelesen“, eröffnet Ursula Neubauer diese Podcastfolge, seit Ende der 1970er-Jahre Mitarbeiterin und später auch Mitinhaberin von Lillemoor’s in München – dem bis 2023 aktiven, ältesten Frauenbuchladen in Deutschland. Sie erinnert sich lebhaft daran, wie auch die westdeutsche Frauenbewegung mit Interesse und Begeisterung die Werke von DDR-Autorinnen las und als Quelle über die Lebensrealitäten von Frauen im sogenannten Realsozialismus nutzte.

In jüngster Zeit bestimmen vor allem drei Autorinnen die Wahrnehmung frauenzentrierter DDR-Literatur: Brigitte Reimann (1933–1973), Maxie Wander (1933–1977) und Irmtraud Morgner (1933–1990). Ihre ersten literarischen Gehversuche unternahmen sie in den 1950er-Jahren. In ihren frühen Texten unterstützten sie den Aufbau des Sozialismus und verbanden damit die Hoffnung, ein anderes und besseres Deutschland zu mitzugestalten.

Spätestens Ende der 1960er-Jahre distanzierten sich die Autorinnen Reimann und Morgner von ihren frühen Werken und leiteten eine neue Phase ihres literarischen Schaffens ein. Es folgten Auseinandersetzungen mit der staatlichen Zensur, die die Veröffentlichung neuer Texte verhinderte oder verzögerte. In ihren Texten beschäftigten sich Brigitte Reimann, Maxie Wander und Irmtraud Morgner zunehmend mit jenen Themen, die in der DDR spätestens zu Beginn der 1970er-Jahre als gelöst galten: die Frauen- und Geschlechterverhältnisse. Anhand von literarischen Frauenfiguren verhandeln sie Utopien, den Ausbruch aus gesellschaftlichen Konventionen und Möglichkeiten individueller Autonomie in diktatorisch-patriarchalen Systemen.

Wie ein roter Faden führen Zitate von Reimann, Wander und Morgner aus ihren Werken durch die Folge, u.a. aus dem 1974 in der DDR erschienenen Roman Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura von Irmtraud Morgner, der auch internationale Bekanntheit erlangte und sie seitdem als, die Feministin der DDR‘ gelten lässt. Der Montageroman aus 13 Büchern und sieben Intermezzi gilt als ihr Hauptwerk, mit dem sie nicht Geringeres als den Eintritt der Frauen in die Historie gestalten wollte.

Was diesen Roman auszeichnet und wie zeitlos feministisch, scharfsinnig und humorvoll sich dieser noch heute liest, zeigt die Germanistin Maria Wüstenhagen. Geboren in der Niederlausitz vertiefte sie sich während ihres Studiums in feministische Künstlerinnen der DDR – und promivierte 2013 zu Morgners Trobadora-Roman. Wie kaum eine andere würde Morgner Geschichte und Gegenwart miteinander verbinden, so Wüstenhagen, die anregt, die Werke von Morgner und ihrer Kolleginnen zu lesen und sich auch wissenschaftlich zu erschließen.

In den neuen Bundesländern entstanden in den frühen 1990er-Jahren zudem einige Lesben-/Frauenbibliotheken zum Beispiel in regionalen Frauenzentren, angebunden an Universitäten und als eigenständige Bibliotheken. Es ist bis heute ihr Ziel, das Wissen von Frauen und ihre Wissensproduktionen zu bewahren, zu teilen und zu öffnen und für die Forschung nutzbar zu machen. Stellvertretend für die vielfältigen ostdeutschen feministischen Bibliotheken lernen wir die Genderbibliothek in Berlin näher kennen, die über die Humboldt-Universität zu Berlin die Literaturen zur Frauenbewegungsgeschichte der DDR und Ostdeutschland zugänglich und recherchierbar macht.

In dieser Podcastfolge fragen wir daher: Warum ist es so spannend und wertvoll, noch heute DDR-Schriftstellerinnen wie Brigitte Reimann, Maxie Wander und Irmtraud Morgner zu lesen? Wie kann dies den Blick auf Geschichte und Gegenwart verändern? Und wo lassen sich ihre Werke neu- und wiederentdecken?