Wie funktionieren Erinnerungen? Wie schreibt man über eine Diktatur, in der man gelebt hat – als Kind? Und wie übersetzt man eine neu getextete spanischsprachige Version von Billy Joels „We didn’t start the fire“? Darüber spricht Sonja Hartl mit Friedrike von Criegern, die Nona Fernández „Twilight Zone“ aus dem chilenischen Spanisch übersetzt hat, und mit Lateinamerika-Experte Timo Berger.
In „Twilight Zone“ will die Ich-Erzählerin – die viele Ähnlichkeiten mit der Autorin hat – einen Dokumentarfilm über die Militärdiktatur schneiden und erinnert sich an ein Foto eines Mannes, der 1984 auf dem Titelblatt einer oppositionellen Zeitschrift zu sehen war. Übertitelt war dieses Foto mit: „Ich habe gefoltert“. Die Erzählerin war damals noch eine Teenagerin, aber sie hat das Bild und das zugehörige Interview nie vergessen. Als Erwachsene begibt sie sich nun auf eine Recherche- und Erinnerungsreise in diese Zeit – und versucht die Geschichte der Diktatur, aber auch die mangelnde Erinnerung innerhalb der chilenischen Gesellschaft zu fassen.
„Twilight Zone“ stand im Sommer 2024 auf Platz 2 des 63. Weltempfängers. Damals schrieb Timo Berger zu diesem Buch: „Eine Schülerin steigt in einen roten Chevy. Eine Spritztour mit Onkel Claudio. Jahre später erfährt sie, dass der Onkel ihrer Freundin für das Pinochet-Regime gefoltert und gemordet hat. Ein aufrüttelnd ehrlicher Blick auf die jüngste Geschichte Chiles.“
Friederike von Criegern ist Literaturübersetzerin, freie Dozentin für Literatur und Übersetzen sowie Dolmetscherin.
Timo Berger ist Literaturveranstalter, Übersetzer aus dem Spanischen und Portugiesischen.
Sonja Hartl ist freie Journalistin.
Nona Fernández wurde 1971 in Santiago de Chile geboren. Sie ist Schauspielerin und Autorin – und zählt als solche zu den führenden literarischen Stimmen Lateinamerikas und hat zahlreise Preise gewonnen. Für „Twilight Zone“ wurde sie mit dem Premio Sor Juana Inés de la Cruz ausgezeichnet und für den National Book Award USA nominiert. Sie schreibt viele Theatertexte, in Deutschland wurde zum Beispiel 2021 ihr Stück „Mädchenschule“ uraufgeführt, auch übersetzt von Friedrike von Criegern.
Nona Fernández: Twilight Zone. Aus dem chilenischen Spanisch von Friedrike von Criegern. Culturbooks 2024. 240 Seiten. 24 Euro.
Das Titelblatt, an das sich die Erzählerin erinnert, lässt sich in Ariel Dorfmans Besprechung des Romans bei der New York Times ansehen.
Genannte Titel zur chilenischen Erinnerungsliteratur:
Alejandro Zambra: Formas de volver a casa. Die Erfindung der Kindheit. Aus dem Spanischen von Susanne Lange, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2012
Alia Trabucco Zeran: La Resta. Die Differenz. Aus dem Spanischen von Benjamin Loy. Bahoe Books 2022. (Dieses Buch war auf Platz 1 des 55. Weltempfängers)
Hernán Valdés: Tejas Verdes. Auch wenn es nur einer wäre. Tagebuch aus einem chilenischen KZ. Rowohlt 1987. Aus dem Spanischen von Ulrike Michael-Valdés
Seit 2008 erscheint die Weltempfänger-Bestenliste auf Anregung des Autors, Übersetzers und Herausgebers Ilija Trojanow und gibt Orientierung über übersetzte Literaturen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt. Litprom gibt die Bestenliste viermal jährlich heraus. Eine ehrenamtliche Jury aus acht Literaturkritikerinnen und Journalistinnen wählt stets sieben Titel aus. Die Weltempfänger-Bestenlisten sind auch auf der Webseite von Litprom zu finden.
Litprom wurde 1980 als „Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V.“ gegründet und will den Dialog über und mit Literaturen des Globalen Südens im deutschsprachigen Raum anregen und fördern. Mehr Informationen gibt es auf der Webseite.
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