Mar 11 2025 18 mins 1
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die Entscheidung G 1/15 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2016.
Die dem Patent zugrunde liegende Erfindung betrifft eine chemische Zusammensetzung, mit der die Fließeigenschaften von Kraftstoffen wie Diesel oder Kerosin verbessert werden sollten. In der prioritätsbegründenden britischen Erstanmeldung wurde in Zusammenhang mit der Erfindung immer auf Ammoniumsalze und Amide Bezug genommen. In der prioritätsbeanspruchenden europäischen Patentanmeldung, die als Nachanmeldung eingereicht wurde, wurde dann diese Einschränkung auf die Ammoniumsalze oder Amide weggelassen und so eine Abstraktion bzw. Verbreiterung des Schutzbereichs vorgenommen.
Im Einspruchsverfahren wurde die Thematik der "giftigen Teilanmeldung" oder "Poisonous Divisional" von der Einsprechenden aufgeworfen: Eine von der Patentinhaberin selbst eingereichte europäische Teilanmeldung wurde als älteres Recht (Stand der Technik gemäß Art 54 (3) EPÜ) für das Streitpatent angesehen. Dies deshalb, weil der abstrahierte Patentanspruch nicht prioritätsgedeckt war und somit die spezielle Offenbarung der Teilanmeldung, die die Priorität gültig in Anspruch nehmen konnte, einen besseren Zeitrang hatte. Diese Ansicht wurde auch von der Einspruchsabteilung vertreten, sodass das Streitpatent widerrufen wurde.
In der Beschwerde wurde dann die Frage aufgeworfen, ob der erteilte Anspruch nicht im Lichte der Entscheidung G2/98 als generische ODER-Verknüpfung in mehrere Teilbereiche mit unterschiedlichen Zeiträngen verstanden werden kann.
Vorlagefragen
Der Großen Beschwerdekammer wurden die folgenden Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
Wenn ein Anspruch einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäischen Patents aufgrund eines oder mehrerer generischer Ausdrücke oder anderweitig alternative Gegenstände umfasst (generischer "ODER"-Anspruch), kann dann nach dem EPÜ für diesen Anspruch das Recht auf Teilpriorität bezüglich eines alternativen Gegenstands verweigert werden, der im Prioritätsdokument erstmals, direkt oder zumindest implizit und eindeutig (ausführbar) offenbart ist?
Lautet die Antwort ja, unter bestimmten Bedingungen, ist dann die in Nummer 6.7 von G 2/98 aufgestellte Bedingung "sofern dadurch eine beschränkte Zahl eindeutig definierter alternativer Gegenstände beansprucht wird" als Maßstab der rechtlichen Beurteilung der Frage, ob für einen generischen "ODER"-Anspruch ein Recht auf Teilpriorität anzuerkennen ist, heranzuziehen?
Falls Frage 2 bejaht wird, wie sind dann die Kriterien "beschränkte Zahl" und "eindeutig definierte alternative Gegenstände" auszulegen und anzuwenden?
Falls Frage 2 verneint wird, wie ist dann zu beurteilen, ob für einen generischen "ODER"-Anspruch ein Recht auf Teilpriorität anzuerkennen ist?
Kann im Fall einer zustimmenden Antwort auf Frage 1 ein in einer Stamm- oder Teilanmeldung zu einer europäischen Patentanmeldung offenbarter Gegenstand als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ einem Gegenstand entgegengehalten werden, der im Prioritätsdokument offenbart ist und als Alternative von einem generischen "ODER"-Anspruch dieser europäischen Patentanmeldung oder des darauf erteilten Patents umfasst wird?
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