Apr 08 2025 17 mins 1
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die Entscheidung G 1/93 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 1994. Diese Entscheidung, bekannt unter dem Schlagwort "beschränkendes Merkmal", prägt den Begriff der "unentrinnbaren Falle" zwischen Art 123 (2) EPÜ und 123 (3) EPÜ, also den Fall dass eine im Anmeldeverfahren eingeführte Offenbarungsüberschreitung im späteren Verfahren, etwa in einem Einspruchsverfahren, nicht mehr saniert werden kann, da das strittige Merkmal nicht aus dem Anspruch gestrichen werden kann, ohne den Schutzbereich unzulässig zu erweitern.
Die dem Patent zugrunde liegende Erfindung betrifft eine optische Membran, die bei der Herstellung von Halbleiter-Chips die Fotomasken vor Verunreinigung schützt, bzw. ein Herstellungsverfahren für eine solche Membran. Im Laufe des Anmeldeverfahrens wurde das Merkmal, dass die hergestellte Membran "im Wesentlichen frei von Schlieren ist" (substantially free of striae), in den Anspruch aufgenommen, ohne dass es eine Grundlage in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen dafür gab. Im Prüfungsverfahren wurde dies unkritisch gesehen und es wurde ein Patent mit einem unabhängigen Anspruch erteilt, der dieses Merkmal enthält.
Im Einspruchsverfahren wurde das Patent wegen der Offenbarungsüberschreitung angegriffen und die Einspruchsabteilung folgte der Argumentation der Einsprechenden und widerrief das Patent.
Im nachfolgenden Beschwerdeverfahren wurde erstmals ein Hilfsantrag eingereicht, in welchem versucht wurde das strittige Merkmal durch ein ursrprungsoffenbartes Merkmal zu ersetzen. Die Beschwerdekammer sah jedoch ein Problem darin, dass die Streichung des Merkmals zu einer Schutzbereichserweiterung führen würde, was einen Verstoß gegen Art 123 (3) EPÜ darstellt.
Die Große Beschwerdekammer wurde nun angerufen, um das grundsätzliche Verhältnis zwischen Art 123 (2) EPÜ und Art 123 (3) EPÜ klarzustellen.
Vorlagefrage
Der Großen Beschwerdekammer wurde die folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Enthält ein europäisches Patent in der erteilten Fassung Gegenstände, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen und auch den von den Ansprüchen bestimmten Schutzbereich einschränken, kann dann das Patent im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ im Einspruchsverfahren aufrechterhalten werden?
weiterführende Links