...kommt das Christuskind


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Dec 15 2024 13 mins  

Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. 5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, 6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre. 8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; 9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.« 10 Und wiederum heißt es (5.Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!« 11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!« 12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.« 13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. (Römer 15,4-13)


Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind. Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus, geht auf allen Wegen mit uns ein und aus. Steht auch mir zur Seite, still und unerkannt, dass es treu mich leite an der lieben Hand.

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Quatsch, habe ich früher immer gedacht. Wer singt denn so etwas? Schließlich ist es genau einmal gekommen, das Christuskind und das war ein ganz besonderer Moment, den wir bis heute feiern. Seit Wochen schon bereiten wir uns darauf vor, auf dieses große Fest. Mit dem Kind im Stall von Bethlehem begann das "Christusereignis", so die Theolog:innen, dieser einmalige, alles verändernde Moment, in dem Gott selbst in die Geschichte der Welt nicht nur eingreift--nein, sondern: hineinsteigt. Selbst Teil davon wird. Auf ganz unerwartete Art, nämlich als Mensch. Als einer von uns.

"Vor 2.000 Jahren kam das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind." So müsste der Text ja eigentlich lauten. Und seither hat sich alles verändert. Seither leben wir Christ:innen aus Gottes neuer Realität, die Teil der unseren geworden ist. Sein Reich, "nahe herbeigekommen", nennt Jesus selbst das und besiegelt den Anbruch dieses so anderen Gottesreichs durch seinen Tod und seine Auferstehung. Das, worauf sich unser Glaube gründet. Das, was uns Trost und Hoffnung gibt. Das, worauf wir uns im Leben und Sterben stützen können.

Aber so singen wir ja nicht...

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Martin Luther hat es groß gemacht, dieses Kind von Bethlehem, im Gegensatz zu dem übermächtig gefeierten Sankt Nikolaus seiner Zeit. "Vom Himmel hoch, da komm ich her", ließ er den Engel die Weihnachtsgeschichte für seine Kinder singen. Und seither bringt das Christkind an Weihnachten die Geschenke, weil sich Gott in diesem Kind ja selbst schenkt und das alles übertrifft, was irgendwelche Heiligen zu bieten haben. Seither kommt alle Jahre das Christuskind, in ganz traditionell geprägten Familien sogar noch ins abgeschlossene Weihnachtszimmer, bis das Glöckchen klingelt und die Kinder zur Bescherung kommen dürfen--zur Bewunderung dessen, was es mitgebracht hat. Kein Wunder, dass das "Christkindl" vor Weihnachten ganz viel Post mit Wünschen bekommt.

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auch zu uns aufgeklärten Erwachsenen, die ja längst kapiert haben, dass die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum von ganz anderen Personen abgelegt werden. Alle Jahre wieder stehen Pfarrer:innen auf den Kanzeln landauf, landab und erklären allen, die es immer noch nicht gehört haben, dass Advent "Ankunft" bedeutet, seine Ankunft nämlich, des Jesuskinds von Bethlehem. Dass er nämlich nicht nur gekommen ist, damals, als kleines Windelkind im Stall, und kommen wird, an seinem Tag, in der Fülle des ewigen Gottesreichs, sondern, nein, dass er eben auch jetzt "ankommt": Hier und heute, zu uns. Wo wir ihm unsere Herzen aufmachen. Querverweis: "Mein Herze soll dir grünen" vom ersten Advent, im Internet immer noch nachzuhören.

Wo wir das ernst nehmen, da kommt ja tatsächlich alle Jahre wieder -- vielleicht sogar: alle Tage wieder -- der Kind gewordene Christus genau dahin "wo wir Menschen sind", steht uns zur Seite, leitet auf allen Wegen und kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus. Wo wir das ernst nehmen und "Ankunft" tatsächlich passiert, da passieren auch Geduld, Trost, Hoffnung, Freude und Frieden im Glauben, die Paulus in seinem Brieftext verspricht. Da passiert ja von neuem, an uns, was in diesem Christus geschehen ist, dass nämlich die Verheißungen Gottes sich an ihm bestätigen. Dass aus der "Wurzel" der alten Geschichten von Gottes Handeln an Israel etwas aufblüht, wofür ihn alle Völker loben können. Dass sich der ganze Reichtum der Hoffnung entfaltet.

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Wer das verstehen will, der muss zurückschauen auf den Christus, der damals gekommen ist. Unerwartet. Weltbewegend. Menschennah. Wer es dort sieht, das Kind, in der Krippe, zwischen Tieren, herbergslosen Eltern und seltsamen Hirtengestalten, umhüllt vom wunderbaren Duft von Stroh und frisch gefüllten Windeln, dem erst entfaltet sich nämlich das ganze Wunder. Dort an der Krippe erst lässt sich nämlich begreifen, dass dieser Christus--Gottes Gesalbter, Gesandter, "Messias", "Immanuel", "Gott mit uns"--tatsächlich bereit ist, in wirklich jedes Haus einzukehren mit seinem Segen.

Wer's immer noch nicht glaubt, der möge sich in wenigen Tagen bei der Christvesper einmal umsehen in der Kirche. Da wird er entdecken, dass der Christus zu denen kommt, die vor Aufregung beim Krippenspiel fast umkippen. Und zu denen, die in der vorletzten Reihe gelangweilt gähnen. Er kommt zu quengelnden Kindern und zu schwerhörigen Älteren. Er kommt zu den Konfis, die heimlich zwischen den Knien auf dem Handy zocken. Er kommt zu denen, die sonst nie kommen und keine Ahnung haben, wie man sich in der Kirche benimmt. Er kommt zu den hochkulturierten, die das alles viel zu banal finden. Er kommt zu den Orgelliebhabern und denen, die lieber Hip Hop hören. Er kommt zu denen, die mit glitzernden Augen das erste Mal die Weihnachtsgeschichte hören. Und zu denen, die jeden Vers schon auswendig kennen. Er kommt zu denen, die am liebsten bei jeder Strophe von ‚O du fröhliche‘ mitsingen würden. Und zu denen, die währenddessen schon heimlich ans Abendessen denken. Er kommt zu denen, die sich in der festlichen Stille eine Träne aus den Augen wischen. Und zu denen, die nur hier sind, weil sie überredet wurden. Er kommt zu denen, die sich in der letzten Bank drücken, weil sie Angst haben, jemand könnte sie ansprechen. Und zu denen, die strahlend durch die Reihen laufen und allen frohe Weihnachten wünschen.

Und wenn du die alle entdeckt hast, dann hast du noch immer nur einen Bruchteil gesehen. Denn der Gott-mit-uns kommt ja nicht nur in die Kirche. Er will doch gerade mit seinem Segen in jedes Haus einkehren. Deshalb ist er auch gerade bei denen, die du an Weihnachten nicht in der Kirche triffst. Bei denen, die mit dem Glauben längst nichts mehr anfangen können. Bei denen, die noch gar nie glauben konnten. Bei denen, die es körperlich nicht mehr schaffen, in die Kirche zu kommen. Bei denen, die an Weihnachten allein sind und am liebsten gar nicht dran denken wollen, damit ihnen das Herz nicht vollends bricht. Der Gott-mit-uns kommt doch auch für die die arbeiten müssen, während andere feiern. Für die, die in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder auf der Straße sind. Für die, die an ihren verlorenen Träumen festhalten und nicht wissen, wie sie weiterleben sollen. Für die, die gestritten haben und sich nicht trauen, den ersten Schritt zur Versöhnung zu machen. Für die, die weit weg von ihren Lieben sind, sei es wegen der Arbeit, eines Streits oder eines ganzen Ozeans dazwischen. Und für deine muslimischen Nachbarn. Der Gott-mit-uns kommt für die, die nicht glauben, dass es für sie noch Hoffnung gibt. Für die, die mehr Angst vor dem neuen Jahr haben als Freude. Er kommt auch für die, die ihn längst vergessen haben. Der Gott-mit-uns kennt keine Grenzen, keine Mauern, keinen Ausschluss. Er kommt. Für uns alle.

Wo er einzieht, mit seinem Segen, da finden sich Geduld, Trost, Hoffnung, Freude und Frieden im Glauben unterm Tannenbaum. Wäre das nicht ein wunderbares Weihnachten?

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Man erzählt, dass es 1914, in diesem furchtbaren ersten Winter des ersten Weltkriegs, auch in die Stellungen der festgefahrenen Westfront kam. Spontan bildete sich ein nicht genehmigter Waffenstillstand. Soldaten von allen Seiten kamen aus ihren Schützengräben. Briten und Deutsche umarmten sich, statt zu schießen. Geschenke wurden getauscht. Weihnachtslieder gesungen. Es gab sogar gemeinsame Fußballspiele. Man nimmt heute an, dass über 100.000 Soldaten daran teilnahmen.

Wenn ich das lese, muss ich seufzen. Diesen Weihnachtsfrieden--und nicht nur für eine Nacht--würde ich mir für heute wünschen. Für die Ukraine und Russland. Für Israel, Gaza und Libanon. Für Syrien. Für zerstrittene Familien. Für zerbrochene Freundschaften. Für politische Gegner. Für unversöhnliche Unterschiede. Für die in unserer Kirche, die um den Verlust dessen bangen, was sie beim Lesen der Bibel erkennen und für die, die seufzen, weil gleichgeschlechtliche Paare immer noch nicht getraut werden können.

Geduld, Trost, Hoffnung, Freude und Frieden im Glauben.

O, dass das mehr wäre als ein frommer Traum!

"Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.", ist das Gebet des Paulus (und auch meines). O dass das Christuskind mit diesem Wunder bei uns einziehe!

Paulus wird gleich ganz konkret: "Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre."

Das Wunder soll bei uns beginnen. Wir könnten zum Zeichen des ankommenden Gott-mit-uns werden. An uns könnte man sehen, dass dieser Traum eine Wirklichkeit wird. Wir könnten auch hier die Hände und Füße, die offenen Arme und die offenen Herzen des kommenden Christuskinds sein.

Was, wenn wir damit heute begännen? Wenn wir uns annähmen, so wie er, ohne Grenzen oder Ausschlusskriterien? Wenn wir im anderen den Christus entdeckten, trotz aller Unterschiede. Könnten nicht genau da Geduld und Trost, Hoffnung, Freude und Frieden blühen?

Nach all den Jahren wieder könnte das Christuskind gerade dieses Jahr noch einmal ganz besonders zu uns kommen. Mit seinem Segen einkehren, nicht nur da, wo es unserer Vorstellung entspricht, sondern durch uns wirklich in jedes Haus. Und wer weiß, wie anders unsere Wege dann verliefen, wenn er uns mitnimmt auf seine Wege, gemeinsam, versöhnt in ihm und unterwegs in seine Richtung, "mit uns ein und aus".

Wenn das kein Weihnachtswunder wäre...

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind...

Ja, komm, der Heiden Heiland.

Komm, o komm, du Morgenstern.

Komm, o mein Heiland, Jesus Christ. Meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein. Dein Freundlichkeit auch uns erschein.

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. (Römer 15,13)

Amen.