He has come


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Dec 24 2024 17 mins  

Gnade und Frieden mit euch von Gott, dem Vater und von Jesus Christus, seinem Sohn, unserem Herrn.

Zum heutigen Heiligen Abend lesen wir Worte des Propheten Jesaja:

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth. (Jesaja 9,1-6)


Geliebte Gottes,

Weihnachten ist in Gefahr! So sagt man mir mir jedenfalls. Oder so ist zumindest der Eindruck, den man gewinnen kann, wenn man die amerikanisch geprägten Weihnachts-Familienfilme der letzten Jahre anschaut. Da geht es dann meistens um "Santa Claus", den amerikanischen Weihnachtsmann, der langsam auch bei uns immer mehr Anhänger gewinnt. Santa, der ziemlich rundliche, rot-weiß gekleidete ältere Mann mit langem weißen Bart, so sagt man, wohnt am Nordpol, wo er mit seinen Elfen das ganze Jahr über fleißig Spielzeuge herstellt, um all die Kinderwünsche an Weihnachten zu erfüllen. In der Weihnachtsnacht fliegt er dann mit seinem Rentierschlitten rund um die Welt, dringt über die Kamine in die Häuser ein, verzehrt bereitgestellte Milch und Kekse und hinterlässt jedem artigen Kind das sehnlich erwünschte Geschenk. Am Morgen des ersten Weihnachtstags leuchten dann die Kinderaugen, wenn sie entdecken, was Santa ihnen diesmal beschert hat. Soweit die kitschig-romantische, heile Welt der Santa-Erzählung.

Natürlich kann man mit heiler Welt allein keine spannenden Filme machen. Deshalb gibt es in jedem der Weihnachtsfilme ein Problem: Weihnachten ist in Gefahr! Aus irgendeinem Grund kann die Bescherung voraussichtlich in diesem Jahr nicht stattfinden und Millionen von Kindern und Erwachsenen rund um die Welt werden leer ausgehen. Die Gründe sind ganz unterschiedlich: Der Schlitten hat eine Panne. In der Spielzeugfabrik der Elfen gibt es einen Streik. Santa hatte einen Unfall oder ist einfach über das Jahr zu dick für die vielen Kamine geworden. Oder er hat keine Lust mehr. Oder der Weihnachtsdiamant (was immer das sein soll) schmilzt, weil die Liebe auf der Welt abnimmt und damit ist Santas Magie am schwinden. Immer abstruser werden die Anlässe, die die Filmemacher sich einfallen lassen, um dann ihre jeweiligen Helden auf den Weg zu schicken, um "Weihnachten zu retten." Denn, das haben alle Filme gemeinsam, ein Ausbleiben der Bescherung wäre nicht nur etwas Verzicht in dieser konsumorientierten Welt. Nein, hinter Weihnachten und den Geschenken -- das ahnt man zumindest noch, steht doch der "Spirit of Christmas", die weihnachtliche Gesinnung. Irgendetwas mit Frieden, Freude und Liebe jedenfalls. Weihnachten, das ist dieser magische Moment, wenn zumindest für einen Tag Ruhe auf der Welt einkehrt, Friede in die Herzen einkehrt, Familien zusammenfinden und alle sich liebhaben. Und das kann nur stattfinden, wenn Santa brav seine Runden dreht. Weihnachten muss also um jeden Preis gerettet werden.

Nun haben wir, spätestens jetzt nach der Lesung des Weihnachtsevangeliums, ja den Verdacht, dass die Feier von Weihnachten nichts mit einem dicken Mann vom Nordpol zu tun hat, sondern mit dem, was sich vor fast 2.000 Jahren in Bethlehem in Judäa zugetragen hat. Gott selbst wird ein Kind und kommt in Jesus zur Welt. Er erniedrigt sich, liegt in einer Krippe und das Wunder von Weihnachten ist größer und erstaunlicher als es sich je jemand hätte ausmalen können. Die Engel besuchen die Hirten auf dem Feld und singen "Gloria" und verkündigen große Freude, die allem Volk widerfahren ist. Und Friede auf Erden. Und es wird Stille Nacht, wo sich Maria und Josef und Ochs und Esel und Hirten und Weise vor dem Kindlein auf Heu und auf Stroh beugen. Friede auf Erden. Da haben wir ihn wieder, den "Spirit of Christmas", den "Geist der Weihnacht", die weihnachtliche Gesinnung. Alles gut. Das können wir heute Abend doch feiern, besinnlich unter unseren Weihnachtsbäumen, bei Kerzenlicht und Weihnachtsessen und vielen schönen Geschenken. Gloria.

Willkommen in der Realität!

Ihr Lieben,

Wenn es das ist, worum es an Weihnachten geht, dann haben die amerikanischen Filmemacher recht: Weihnachten ist in Gefahr! In ganz ernster Gefahr! Möglicherweise muss es dieses Jahr dann sogar ausfallen, das Fest der Liebe und der großen Freude. Denn der "Spirit of Christmas" hat ganz offensichtlich versagt. Das merkt jeder, der das Risiko auf sich nimmt, aus all der Weihnachtsbesinnlichkeit einmal einen Blick nach draußen in die Realität zu werfen:

Wo ist denn der Friede auf Erden? Wo ist er, wenn es auf dieser Welt immer noch zahlreiche Kriege gibt? Wenn Bomben im Nahen Osten und in der Ukraine fallen? Wenn die Weltmächte und auch die Kleinen wieder aufrüsten, mit Doppel-Wums und Atomrakete, mit Worten und mit Waffen? Wenn Menschen in Europa Weihnachten im Schutzraum verbringen? Wenn ein paar Tage vor Weihnachten in Magdeburg ein Auto in fröhlich feiernde Menschen rast? Wo ist der Weihnachtsfriede, wenn rechte Parteien und braune Parolen in Deutschland zweistellige Umfrageergebnisse erzielen? Wo ist der Weihnachtsfriede, wenn sich Menschen auch im Kleinen streiten, wenn sich Familien entzweien, und Ehepartner sich prügeln und Kinder missbraucht werden? Wo ist der Weihnachtsfriede, wenn heute Abend und morgen und am zweiten Weihnachtstag gespannte Atmosphäre herrscht, wenn sich Verwandte begegnen, die den Rest des Jahres froh sind, sich nicht sehen zu müssen? Wo ist er denn, der Weihnachtsfriede? Jesaja meint, Soldatenstiefel und Uniformen würden abgeschafft und verbrannt, es würde abgerüstet auf dieser Welt, im Großen wie im Kleinen. Aber davon sehen wir sehr wenig.

Und der Prophet redet von Freude, vom Feiern und miteinander Teilen, vom Jubel, wenn jeder etwas abbekommt. Da frage ich, wo ist denn diese Freude? Wo ist die Freude, wenn die Armen der Welt immer ärmer und die Reichen immer reicher werden--rund um den Globus und auch bei uns hier im Land. Wenn es weltweit immer noch viel zu viele Sklaven gibt, die unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen, damit es anderen gut geht? Wenn Frauen und Männer und sogar Kinder sexuell ausgebeutet werden? Wenn es auch hierzulande heute, am 24. Dezember, wieder Menschen gibt, die schon seit ein paar Tagen nicht mehr wissen, wie sie den Rest des Monats überstehen sollen, weil das Geld schon wieder zu Ende ist? Wo ist dann diese Freude? Und wo ist die Freude, wenn heute Abend am Weihnachtsbaum Menschen sitzen, deren Herz blutet, weil sie einen lieben Menschen verloren haben und trotz all der Lichterketten und Kerzen nur die große Leere in ihrem Herzen und in ihrem Leben sehen? Wo ist dann die Freude? "Du weckst lauten Jubel", sagt Jesaja. Nur können da eben viele nicht mitjubeln.

Vom Volk, das im Finstern sitzt, redet Jesaja. Und immer noch bedeckt so viel Finsternis diese Erde, unsere Welt, oft auch unser ganz persönliches Leben. Wird es da jemals licht werden? Wird es da jemals Weihnachten geben, mit Freude, und Liebe, und Frieden auf Erden?

Alles das sind Fragen des Advents. Fragen aus der Wartezeit, in der auch Jesaja lebte. Fragen, die geboren werden aus der unendlichen Sehnsucht aller Menschen nach eben diesem "Spirit of Christmas", nach Liebe und Freude und Frieden, und sei es nur für einen Tag. Und je länger das Warten dauert, desto größer wird die Sehnsucht.

Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christus, stecken wir am Ende fest im Advent? Wird das Warten gar kein Ende haben? Weihnachten ist in erheblicher Gefahr!

"O come, o come Emmanuel" -- "O komm, o komm, Immanuel" singt der Gospelchor in dem Adventsgottesdienst, in dem ich mit meiner Familie sitze. Uralte Worte der Sehnsucht, geboren aus den Texten eben dieses Propheten Jesaja. "Komm, Immanuel", das heißt "Gott mit uns." Ja, komm, Immanuel. Gott, sei mit uns! Dann würde endlich alles anders. Die Sehnsucht wird zu einem Ur-Seufzer der ganzen Menschheit:

O komm, o komm, Immanuel,
Mach frei Dein armes Israel!
In hartem Elend liegt es hier,
In Tränen seufzt es auf zu Dir.
Bald kommt dein Heil: Immanuel.
Frohlock und jauchze Israel!
O komm, o komm, Du Licht der Welt,
Das alle Finsternis erhellt.
O komm und führ aus Trug und Wahn
Dein Israel auf rechte Bahn.
Bald kommt dein Heil: Immanuel.
Frohlock und jauchze Israel.
O komm, o komm, Du Himmelskind,
Das aller Welt das Heil gewinnt.
Dein Israel seufzt tief in Schuld,
O bring ihm Deines Vaters Huld.
Bald kommt dein Heil: Immanuel.
Frohlock und jauchze Israel.
O komm, o komm, Du Gottessohn,
Zur Erde steig vom Himmelsthron!
Gott, Herr und Heiland, tritt hervor,
O komm schließ auf des Himmels Tor.
Bald kommt dein Heil: Immanuel.
Frohlock und jauchze Israel.

Advent. Sehnsucht. Wer kann uns jetzt noch helfen? Wer macht, dass es wirklich geschieht, was wir Menschen einfach nicht schaffen: dass es Liebe gibt, und Freude, und Friede auf Erden?


Und dann stockt mir plötzlich der Atem. Mitten in diesem typischen Adventsgottesdienst, mitten in einem bekannten Mitsinglied, da stimmt der Chor plötzlich einen Gegenvers an, den ich an dieser Stelle noch nie gehört habe:

He has come. -- Er ist gekommen.

He has come. -- Er ist gekommen.

He has come. -- Er ist gekommen.

He has come. Das ist Perfekt, vollendete Vergangenheit. Er ist schon gekommen. Keine Zukunftsmusik mehr. Vollendete Vergangenheit.

He has come. Gott hat unser Schreien gehört.

He has come. Gott hat eine Antwort.

He has come. Gott kommt selbst.

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.

He has come. Er ist gekommen. Er selbst. Als Kind. Damit hat keiner gerechnet. Klein und arm, und nicht als ein weiterer Mächtiger, der in den Konflikten der Welt eben nochmal alle Mächtigen übertrumpft und sich selbst an die Spitze setzt. Auch nicht besser als alle anderen. Nur stärker halt. Nein, er schenkt sich "elend, arm und bloß in einem Krippelein". Er stellt sich an die Seite der Schwachen, der Ohnmächtigen, der Leidenden, Verfolgten und Trauernden. An die Seite derer, die keinen Grund zur Freude haben. Die unter dem fehlenden Frieden leiden. Und die Liebe, die sie hier nicht erfahren, die erzeigt er selbst ihnen in Jesus Christus, seinem Sohn.

He has come. Er ist gekommen. So ganz anders, als wir es dachten. Und doch genau der Richtige: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Ein wundersamer Ratgeber für diese ratlose Menschheit, mit ihren Krisen und Kriegen und Kämpfen und so oft ohne Lösungen und Auswege. Ein Wunder-Rat weiß weiter. Und er ist gekommen.

Ein ewiger Vater für die verlassenen, verwundeten Menschen, deren inneres Kind einsam und verängstigt in der Ecke hockt und sich nicht weiterwagt. Ein Ewig-Vater nimmt sie in seinen Arm. Und er ist gekommen.

Ein Friedensbringer für all die Spaltungen und für jeden Streit und jede gespannte Beziehung, die großen und die kleinen. Ein Friede-Fürst baut Brücken über unsere Gräben und sprengt unsere Grenzzäune und -mauern. Und er ist gekommen.

Ein Gott-Held, der das macht, was alle unsere Möchtegernhelden nicht schaffen: Er rettet, was verloren ist. Uns. Und unser Weihnachten, auf dass es hell werde in der Dunkelheit und Friede auf Erden. Und wir uns endlich freuen können. Genau der ist gekommen.

Vollendete Vergangenheit. Die Antwort, die Lösung, die Rettung ist da. Ist. Kein Warten mehr nötig.

Kein Warten mehr nötig? Na ja, es hat ja niemand einen Schalter umgelegt, damals in Bethlehem, der auf einen Schlag alle Dunkelheit verschwinden lässt und alles in das helle Licht von Gottes Friede, Freude und Liebe taucht. Das Dunkel ist ja immer noch da, auch heute, 2024. Doch seine Ankunft zeigt uns: Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort. Sein Licht ist da, auch wenn es manchmal nur wie ein kleiner Stern am Horizont scheint. Dieses Licht ist der Anfang einer neuen Wirklichkeit, die Gott in unsere Welt gebracht hat – eine Hoffnung, die uns trägt.

Der, der gekommen ist, lässt uns nicht mit unseren Fragen allein. Seine Ankunft bedeutet, dass die Dunkelheit nicht das letzte Wort hat. Sein Licht scheint – und es ist stärker als jede Nacht. He has come, damit wir Hoffnung haben, eine Hoffnung, die trägt, gerade dann, wenn das Leben schwer wird.

Hoffnung heißt nicht, dass alles sofort gut ist. Aber sie heißt: Gott selbst ist mitten in unserer Dunkelheit. Wenn wir ihn einladen, kann er auch in unserem Leben etwas Neues anfangen. Seine Herrschaft, von der Jesaja spricht, ist kein ferner Traum. Sie beginnt in jedem Herzen, das ihn als "Wunder-Rat" und "Friede-Fürst" annimmt. Er schenkt uns nicht nur eine Zukunft, sondern er schenkt uns auch jetzt schon einen Grund, mutig und froh zu sein, weil sein Licht unseren Weg erhellt, auch wenn wir ihn noch nicht ganz sehen.

Weihnachten ist die Zusage: Gott geht mit uns durch jede Nacht, durch jeden Schmerz, durch jede Herausforderung. Und weil er bei uns ist, können wir die Hoffnung nicht verlieren. Denn diese Hoffnung macht stark. Sie gibt uns Kraft, weiterzugehen, die Hände auszustrecken, Brücken zu bauen, und daran zu glauben, dass der Friede, den er bringt, Wirklichkeit wird – Stück für Stück, durch uns und mit uns.

Niemand kann rückgängig machen, was damals begonnen hat. "Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell." Gott selbst ist gekommen, hinein in die Dunkelheit und er hat uns nie wieder verlassen. Und wer ihm heute, am 24. Dezember, und morgen, am Weihnachtsfest, und überhaupt an jedem anderen Tag, sein Herz öffnet, der erlebt, wie Weihnachten genau dort, bei uns, anfängt.

Unsere Hoffnung ist keine Vertröstung. Sie fordert uns auf, Teil von Gottes Werk zu sein. Wenn wir Brücken bauen, wo andere Mauern errichten wollen; wenn wir Liebe zeigen, wo Hass überwiegt; wenn wir teilen, was wir haben, dann wird das Licht heller – in uns und um uns herum. Weihnachten fängt dort an, wo wir dieser Hoffnung Raum geben, mitten in der Dunkelheit.

Jochen Klepper bringt es ganz gut auf den Punkt:

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.

Er ist gekommen. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter. Oder, wie der Engel sagte: "Siehe, ich verkünde euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." Lasst uns diese Hoffnung und diese Freude, lasst uns ihn selbst mitnehmen in unser Fest, unsere Herzen und unsere Welt. Deshalb, und genau so: Frohe Weihnachten!

Amen.