Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!
Das alte Familienerbstück lag lange in einer Kiste im Keller. Ein paarmal schon hätte man den alten Krempel fast weggeworfen--bis es wieder jemand in die Finger bekam, der eigentlich etwas ganz anderes suchte. "Was ist denn das hier?" Unter dem Staub der Jahrzehnte war es kaum zu erkennen. Neugierig gereinigt, kamen Details ans Licht, die keiner vermutet hätte. Ein echter Schatz! Jetzt hat er seinen Platz in der Vitrine im Wohnzimmer. Im Licht der Lampe oder bei hellem Tageslicht strahlt hier Schönheit auf, die vorher im Dunkeln lag. Viele haben seither bestaunt, was da ans Licht gekommen ist.
Beim Bau von Museen, hat mir meine Tochter, die Architektur studiert, erklärt, ist direktes Tageslicht eher unerwünscht. Ein Kunstwerk -- ein Gemälde zum Beispiel -- kann dann erst durch die richtige Beleuchtung perfekt in Szene gesetzt werden. Das richtige Licht enthüllt die wahren Farben, die Details und die Tiefe des Bildes. Ganz anders wirkt das, was hier ins rechte Licht gerückt wird.
Es gibt Menschen, die das schon lange wissen. Die Dekorateur:innen, die die Schaufenster der Geschäfte in der Adventszeit gestalten, zum Beispiel. Geschickt präsentiert zieht so mancher Artikel die Blicke potentieller Käufer:innen auf sich, an dem sie sonst vielleicht achtlos vorbei gegangen wären. Politiker:innen wissen, dass man manchmal die Dinge einfach ins rechte Licht rücken muss. Da lässt sich dann auch Stillstand und Rückschritt gekonnt als Erfolg feiern. Alles nur eine Frage der Präsentation! Rockstars singen ihre Lieder nicht unter Halogenscheinwerfern wie im Fußballstadion: Die Lightshow, die richtige Beleuchtung, ist genauso wichtiger Teil des Konzerterlebnisses wie das, was gespielt und gesungen wird. Und die Natur um uns macht von ganz allein ähnliches Spiel, wenn eine triste Landschaft in Dunkelheit oder Nebel plötzlich von der aufgehenden Sonne in ein prächtiges Farbenspiel getaucht wird.
Wo die Dinge ins rechte Licht kommen, da sieht plötzlich alles ganz anders aus.
Vielleicht sollten wir das einfach mit der ganzen Welt tun: all das Triste und Trübe unseres großen und kleinen Weltschmerzes einmal in ein neues, besseres Licht hüllen. Dann würde vielleicht mit einem Schlag auch das, was uns jetzt Sorge bereitet; oder das, was wir befürchten; oder das, was uns hier einsam und traurig macht, ganz anders aussehen.
Die Farbenwelt von Advent und Weihnachten würde sich dafür anbieten. Ich denke, niemand will die Dunkelheiten der Welt mit einem grellen Schweinwerfer restlos ausleuchten. Zu grausam, zu überwältigend wäre doch das, was da zum Vorschein käme. Nein, stellt euch die Welt doch einfach im lauschigen Schein von ein paar Kerzen vor. In warmen, sanften Farbverläufen mit gnädigen Schatten an der richtigen Stelle. Vor dem glitzernden Hintergrund von vielen kleinen Lichtern, die sich dann noch spiegeln in den Glaskugeln des Weihnachtsbaums oder gar in den unzähligen kleinen Kristallen des Schnees, der "weißen Weihnacht", von der zumindest im Radio alle träumen. Mit Puderzucker ist die Welt doch viel besser zu ertragen! Ja, stellt euch diese oft so raue Welt doch einmal als ein holzgeschnitztes Weihnachtsdorf in einer Glaskugel vor, mit leise rieselndem Schnee und Stille im Kerzenschein. Zimtduft liegt in der Luft und eine zarte Melodie ist im Hintergrund zu hören...
Süßer die Glocken nie klingen, als zu der Weihnachtszeit...
Nein! Stellt euch das nicht vor! Es bringt doch nichts, wenn wir die Ungerechtigkeit, den Zank und den Neid, die Gier und die Missgunst, Krieg und Folter, und nur auf sich selbst schauenden Egoismus bei Kerzenlicht in Weihnachts-Zuckerwatte packen. Für alle, die am Fest einfach mal ein paar Tage die harsche Realität vergessen wollen -- welch ein Luxus übrigens, wenn man das kann! -- wird der Absturz ja nur um so härter, wenn der normale Alltag wieder Einzug hält. Dann droht der große Weihnachts-Kater, den schon jetzt die erleben, die von dem großen Fest aus irgendwelchen Gründen ausgeschlossen sind.
Nein, die Welt ist kein süßes Lebkuchenhaus! Und, ja, sie gehört dringend ins rechte Licht gesetzt!
Das wird dann aber ganz anders aussehen. Nämlich so:
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen. 9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 10 Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht. 11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. 14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Johannes 1,1-5.9-14)
Aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums.
Die Welt im rechten Licht, das kann nur die Welt in seinem Licht sein:
Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch ihn ist alles geschaffen.
Das rechte Licht für die Welt kann nur von der Ewigkeit her leuchten.
Der Grundstein dafür wurde gelegt, bevor die Zeit begann. "Im Anfang", im Ursprung alles dessen was war und was ist und was kommt. "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde". So beginnt der Bericht der Bibel. Alles hat seinen Ursprung in ihm. Dass wir sind, dass es uns gibt, und dass wir einen Platz zum Sein haben, geht zurück auf sein Wort, mit dem alles begann. "Und Gott sprach... und es wurde..." Im Anfang war das Wort. Gott selbst war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In Gottes Wort ist Leben, alles Leben, dein Leben, mein Leben. Er selbst ist Ursprung und Ziel dessen, was ich bin. Von Gott kommt Leben, nicht nur als Absicht, als Anstoss zu etwas, was dann seinen freien Lauf nimmt. Leben, mein Leben, ist verankert in ihm. Nur in dieser Perspektive ist Leben überhaupt Leben, wirklich Leben, und nicht nur ein dahin-Existieren, dessen Sinn uns irgendwie entgeht. Dieses Leben, echtes Leben, ist das Licht der Menschen.
Die Welt im rechten Licht!
An Weihnachten hat dieses Licht einen Namen bekommen. Die, die vorher darauf hofften, nannten ihn "Wunderrat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst", "König der Könige", "Herr der Herren", "heller Morgenstern". Seine Mutter nannte ihn "Jesus". In ihm bekommt das Licht Gestalt, bekommt ein Gesicht, einen Namen; bekommt Hände und Füße, einen Körper, eine Stimme, einen Ort. Der unfassbare Gott wird sichtbar und klein, ein Kind, in der Krippe von Bethlehem. Wer die im rechten Licht sieht, jenseits von Tiroler Holzschnitzereien und Tannenzweigen; wer hinter die beeindruckende Tailfinger Egli-Krippe oder den Nebringer Stall von Kurt Schittenhelm schaut, der entdeckt, was niemand beleuchten muss, weil es selbst alles beleuchtet: Gott selber ist hier.
"Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns."
Das Kind von Weihnachten, das Licht, das Leben, verbindet uns mit unserem Ursprung, mit Gottes Plan für alle Zeiten, mit seiner Schöpferweisheit und seinem Heilswillen für die Welt.
Nur im Licht dieses Kindes sehen wir, wer wir wirklich sind.
Nur im Glanz von Gottes fleischgewordenem Wort sehen wir die Welt im rechten Licht.
"Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit."
Die tiefste aller Menschenfragen -- "Wer bin ich und warum bin ich hier?" -- findet ihre Antwort nicht in mir, sondern in ihm.
Voller Gnade und Wahrheit.
Nicht alles, was da ans Licht kommt, ist angenehm. Wo sein Licht mein Leben beleuchtet, da fallen vielleicht auch die meiner Seiten ins Auge, die ich lieber verborgen hätte. Vor anderen. Vor mir selbst. Vor ihm sowieso. Was bisher dezent im Schatten lag, wird nun hell ausgeleuchtet. Voller Wahrheit. Die ganze Wahrheit.
Das ist wie der Moment, wenn ich in den Spiegel schaue und plötzlich sehe, was ich sonst ignoriere: Falten, Narben, vielleicht den Schatten von Sorgen oder Entscheidungen, die ich bereue. Oder wenn mir jemand die Wahrheit sagt – ehrlich, direkt, aber auch schmerzhaft. Vielleicht ein Freund, der mich darauf hinweist, dass ich zu oft andere Menschen verletze oder übersehe.
Wo er, Christus, zu mir kommt und bei mir steht, kann ich mich nicht mehr verstecken. Ich kann mich nicht glitzernd als ein anderer präsentieren, der ich gar nicht bin. Alle Augenwischerei, aller Schein, fällt weg im Leuchten seiner Wahrheit.
In seinem Licht erscheine ich, erscheinen wir alle, diese ganze Welt, schonungslos als die, die wir wirklich, im tiefsten Grunde unserer Existenz, ungeschminkt und unverbogen, sind:
Wir sind... von Gott geliebt!
Das ist es, was da sichtbar wird. Voller Wahrheit. Und voller Gnade. Da erscheinen wir nicht als die, als die wir dastehen wollten: Tolle Helden, leistungsstark und vollkommen. Das sind wir ja auch nicht. Niemand weiß das besser, als wir selbst. Gott weiß es auch. Im Licht des Kinds von Bethlehem, selbst klein und unscheinbar, erscheinen wir als die Menschen, die er liebt. Die er mag, so sehr sogar, dass er selbst in die Dunkelheit hineinkommt, um uns das Licht des Lebens zu geben. Es geht nicht um unsere Leistung. Wir können uns das Leben weder erarbeiten noch verdienen. Gott selbst ist das Leben, das uns leuchtet in Jesus Christus. Er schenkt sich uns, umsonst, in diesem Kind. Er macht uns selbst zu seinen Kindern.
Stellt euch Wahrheit und Gnade wie zwei Seiten einer Münze vor: Erst zusammen ergeben sie Wert. Oder wie Licht und Wärme: Wahrheit ist das Licht, das alles sichtbar macht, und Gnade ist die Wärme, die uns umhüllt, damit wir uns in diesem Licht nicht schämen müssen.
Gott sieht mich mit all meinen Schwächen und sagt trotzdem: "Ich mag dich. Ich bin bei dir. Du bist mein Kind."
Nicht jedem wird gefallen, was da ans Licht kommt. Manche schauen schnell weg. Andere wünschen sich das weiche Licht der weißen Weihnacht im Kerzenschein zurück. Noch andere würden am liebsten das Licht ausknipsen, um nichts von alldem mehr sehen zu müssen. Man kann ganz unterschiedlich reagieren auf dieses Bild von der Welt im Licht von Bethlehem.
Am Besten aber geht das so:
Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben.
Wer ihn anschaut und die Welt und sich selbst in seinem Licht sieht, der kann sein Leben (sein Leben, in jedem Sinn des Wortes) Leben in der Zuversicht eines geliebten Gotteskinds leben. Der muss sich nicht mehr zweifelnd durch eine Welt voller Schatten tasten. Der muss sich nicht mehr fragen, wie alle anderen ihn sehen. Ob das auch gut aussieht und glänzt. Der muss sich nicht mehr selbst ins rechte Licht zu rücken versuchen.
Wer sich auf ihn verlässt, der kann ehrlich zu sich selbst zu sein: Ich gestehe mir ein, wo ich gescheitert bin, wo ich Angst habe oder wo ich andere enttäuscht habe. Aber ich verdamme mich nicht dafür – weil Gottes Gnade größer ist als unser Versagen.
Wer sich auf Christus verlässt, der kann anderen die Wahrheit sagen – nicht, um sie bloßzustellen, sondern um ihnen zu helfen. Selbst geliebt und begnadet, kann ich auch anderen Gnade schenken, wenn sie Fehler machen, weil alle von Gottes Gnade leben.
Wer sich auf Christus verlässt, der kann Streit beilegen--nicht nur auf dem eigenen Standpunkt bestehen, sondern zugeben, wo ich selbst falsch liege. Und dem anderen die Möglichkeit geben, einen neuen Anfang zu machen.
Wer sich auf Christus verlässt, der wird die Wahrheit über Ungerechtigkeit in der Welt nicht ignorieren – aber gleichzeitig aktiv werden, um mit Liebe und Barmherzigkeit zu handeln.
Wer sich auf ihn verlässt, dem leuchtet das wahre Licht. In diesem Licht verblasst alles Unwichtige und es scheint auf, wer du wirklich bist: Gottes geliebtes, begnadetes, mit Christus beschenktes Kind.
Da kommt nicht nur Weihnachten, sondern Leben ans Licht.
Amen.