Orange Plakette


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Jan 01 2025 16 mins  

Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Geliebte Gottes in Gäufelden,

Orange ist die entscheidende Farbe. Wenn du heute mit dem Auto gekommen bist, dann solltest du nachher auf dem Parkplatz gleich einmal nachschauen. Eine orange Plakette auf deinem Kennzeichen bedeutet: Dein Fahrzeug muss dieses Jahr zur Hauptuntersuchung. Dort werden alle wichtigen Funktionen getestet -- und das ist gut so. Ich denke, wir sind alle froh, wenn uns draußen auf der Straße keine Autos mit defekten Bremsen oder ohne Beleuchtung entgegen kommen.

Was ich nicht empfehlen kann, ist, es dem Fahrer aus dem Landkreis Stadthagen gleich zu tun, den die Polizei erwischt hat, nachdem er vierzehn Jahre lang mit selbst gebastelten Plaketten durch die Gegend gefahren war. Nur echt ist gültig. Die Prüfung ist keine Wahlmöglichkeit, falls du Lust dazu hast.

Für das Leben gibt es keine orange Plakette.

Dabei würde es in manchen Bereichen vielleicht schon gut tun, wieder einmal etwas genauer hinzuschauen.

"Prüfet aber alles und das Gute behaltet" (1. Thessalonicher 5,21).

Die Jahreslosung 2025 lädt uns dazu ein. Vielleicht ist sie die fehlende Plakette, die wir brauchen, um längst fällige Fragen endlich ehrlich zu stellen?

Prüfet alles und behaltet das Gute.

Mit etwas Glück hast du noch rechtzeitig deinen Versicherungsvertrag geprüft. Da sind die Prämien nämlich ganz schön gestiegen. Oft lohnt es sich, zum Jahresende zu kündigen, um nachher deutlich günstiger da zu stehen. Wie sieht es in den den anderen Bereichen deines Lebens aus?

Prüfet alles und behaltet das Gute.

Vielleicht ist das neue Jahr ein guter Anlass, deinen Lebensstil einmal kritisch und ehrlich anzuschauen. Wir leben in einer Welt, in der sich vieles verändert--zum Teil auch rasant. Nicht alles, was sich bisher richtig anfühlte, passt noch in diese veränderte Welt:

  • Wir werden mit Fake News regelmäßig überschüttet. Gerüchte, die man früher als haarsträubend abgetan hätte, lassen sich heute als "alternative Wahrheit" verkaufen. Ganze Industrien sind aus dem Verbreiten von Fehlinformationen entstanden. Fremde Länder versuchen auf diese Weise, die Meinungen auch in Deutschland zu beeinflussen. Wem kann man noch glauben? Auf welche Quellen kann man sich verlassen? Prüfst du, was du hörst und liest? Oder gibst du jeden Aufreger weiter, ohne dich um die Hintergründe zu kümmern? Im Netz, in den sozialen Medien, auf WhatsApp, aber auch am Wohnzimmertisch und in der Schlange beim Bäcker geht das ganz schnell. Prüfet alles...
  • Die Digitalisierung und seit Neustem auch "künstliche Intelligenz" durchdringen unseren Alltag immer mehr. Neue Technologien eröffnen faszinierende neue Möglichkeiten. Gleichzeitig sorgen sie auch an Stellen für Probleme, an denen wir bisher vielleicht noch gar keine hatten. Wo machst du mit? Wo nicht? Was ist hilfreich und wo ist Vorsicht geboten? Worauf lässt du dich ein? Prüfet alles...
  • Das Klima verändert sich. Auch wenn es viele immer noch nicht wahrhaben wollen: 2024 war zum wiederholten Mal ein Jahr, das weltweit die bisherigen Wärmerekorde gebrochen hat. Längst sind die Auswirkungen des Klimawandels überall angekommen--und das ist erst der Anfang. Unsere Kinder und Enkel werden sie in ganz anderem Maße zu spüren bekommen. Nicht alles lässt sich noch aufhalten, aber manches schon. Wo übernimmst du Verantwortung? Wo gestaltest du deinen Alltag nachhaltiger? Wo veränderst du deinen Konsum? Wie verändert sich deine Mobilität? Was darf die Zukunft für deine Kinder und Enkel dich heute vielleicht auch schon kosten? Prüfet alles....
  • Wie sieht es mit deinen Beziehungen aus? Was tut dir gut? Wer tut dir gut? Wer oder was nicht? Was besteht auch für 2025 den Test? Worin willst du dich investieren? Wo vielleicht auch zurücknehmen? Welche Prioritäten setzt du bei deiner Zeit, bei deinem Geld, bei deiner Energie im neuen Jahr? Bist du beruflich noch an der richtigen Stelle? Prüfet alles...
  • Wahrscheinlich geht es dir wie mir und du wirst auch 2025 jeden Tag ein wenig älter. Ich habe am letzten Tag des alten Jahres meine erste Gleitsichtbrille bekommen. Manches, was früher selbstverständlich war, geht nicht mehr so leicht. Körper, Geist und Seele brauchen vielleicht mehr Aufmerksamkeit und Pflege als früher. Wie gehst du mit diesen Veränderungen um? Was tust du für deine Gesundheit – für Bewegung, Ernährung, Erholung? Was lässt du vielleicht schleifen, obwohl du weißt, wie wichtig es ist? Und was gibst du ab, weil es zu einer anderen Lebensphase gehört? Prüfst du, welche Aufgaben, Beziehungen und Hobbys dir guttun und welche dich eher belasten? Wo lernst du, loszulassen, und wo setzt du neue Akzente, um mit Freude älter zu werden? Prüfet alles...
  • Ganz kurzfristig steht eine Bundestagswahl vor der Tür. Versprechen hörst du viele, von allen Seiten. Was soll man tun? Wen wirst du wählen--und vor allem: warum? Welche Veränderungen sind notwendig, um unser Zusammenleben gerechter zu gestalten? Und welche Werte sollen dabei im Mittelpunkt stehen? Wer sind die Schwachen, deren Stimmen überhört werden? Welche Kompromisse gehst du ein, und wo ziehst du Grenzen? Prüfst du, ob du zu einer Gesellschaft beiträgst, die Gott ehrt? Oder bleibst du bequem, wo es eigentlich unbequem werden sollte? Prüfet alles...
  • In der Hektik des Alltags bleibt oft wenig Zeit für Stille und Besinnung. Wann und wie findest du Raum, Gott zu begegnen? Welche Gewohnheiten helfen dir, in Verbindung mit ihm zu bleiben? Was belastet dich, und was schenkt dir Freude und Kraft? Ist dein Herz offen für Gottes Wirken? Oder haben Sorgen, Stress oder Resignation bereits zu viel Raum eingenommen? Prüfet alles...


"Moment mal", höre ich dich denken. "Mutest du diesem einen Satz aus der Bibel nicht ganz schön viel zu? Ist das wirklich das, was Paulus im Sinn hatte, als er diesen ersten Brief an die Thessalonicher schrieb?"

Wenn du das tatsächlich dachtest: Gut so. "Prüfet alles!" Du bist auf dem richtigen Weg.

Hier also noch einmal die Jahreslosung im näheren Zusammenhang:

19 Unterdrückt nicht das Wirken des Heiligen Geistes. 20 Missachtet die prophetische Rede nicht. 21 Prüft aber alles und behaltet das Gute. (1. Thessalonicher 5,19-21)


Unsere neue Jahreslosung stammt aus dem allerersten Teil des Neuen Testament, der niedergeschrieben wurde. In Thessaloniki in Griechenland machte Paulus auf seiner zweiten Missionsreise Station. Wie es seine Gewohnheit war, suchte er zunächst die jüdische Synagoge auf. Bei drei Sabbatfeiern hatte er dort Gelegenheit, das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen. Einige waren sofort überzeugt. Anderen gefiel die Botschaft des Paulus gar nicht. Vor den Stadtoberen machte man Stimmung gegen ihn: "Diese, die den ganzen Weltkreis erregen, sind jetzt auch hierher gekommen." (Apostelgeschichte, 17,6). Bei Nacht und Nebel muss Paulus die Stadt verlassen. Zurück bleibt eine kleine Gruppe von Menschen, die das Evangelium gehört und im Glauben ergriffen haben. Die Zeit vergeht. Der Alltag geht weiter. Dinge ereignen sich, die Fragen aufwerfen. Die kleine Gruppe weiß nur, was Paulus in drei Wochen erzählen konnten. Nicht jede Frage kann dadurch beantwortet werden. Zum Glück wirkt Gottes Geist unter ihnen. Antworten werden gefunden. Meinungen entstehen. Nicht jede ist richtig. Nicht jede ist von Gottes Geist inspiriert. Was ist Geist? Was ist Meinung? Worauf kann man sich verlassen?

Aus Korinth schreibt Paulus einen Brief. Er bejaht das Wirken des Heiligen Geistes. Er betont den Wert, prophetischer Stimmen, die in den Alltag der Menschen hineinsprechen. Propheten haben immer auch unangenehme Fragen gestellt. Und das ist gut so! Aber nicht jeder, der eine Meinung hat, ist ein Prophet. Manche haben nur keine Ahnung--aber davon ziemlich viel. "Prüfet alles und behaltet das Gute", sagt Paulus.

Wir sind nicht im Thessaloniki des ersten Jahrhunderts. Aber die Fragen an uns sind dieselben, wie sie damals waren: Welche Stimmen lässt du zu dir sprechen? Wem vertraust du? Was lässt du dir sagen? Was ist es wert, gehört zu werden? Woraus solltest du Konsequenzen ziehen? Das passt auch in all die zuvor genannten Alltagsbereiche.

Prüfet alles und behaltet das Gute.

So einfach kommen wir also nicht davon. Prüfen, das ist Arbeit. Das verlangt Gewissenhaftigkeit und genaues Hinsehen. Das verlangt es, vor sich selbst schonungslos ehrlich zu sein und auch die unangenehmen Anfragen zu hören.

Prüfet alles und behaltet das Gute.

Wir haben also ganz schön Arbeit vor uns in diesem neuen Jahr. "Wir", das sage ich ganz bewusst, weil diese Aufgabe nicht nur auf den/die Einzelne:n beschränkt bleibt. Auch als Kirchengemeinde, auch als Kirche, kommt da noch manches auf uns zu.

Schwindende Mitgliederzahlen, finanzielle Engpässe und die Frage, wie die frohe Botschaft heute Menschen erreicht: Wo liegt die Zukunft der Kirche? Was bewahren wir, und was braucht Erneuerung? Welche Aufgaben sollten wir mit ganzer Kraft anpacken, und wo können wir Altes loslassen? Was ist dabei Tradition, und was Auftrag Gottes? Wie gestaltest du dein persönliches Engagement in der Gemeinde? Prüfet alles...

Konkret wird sich das hier in Gäufelden auch daran, dass wir seit heute eine Kirchengemeinde sind, statt wie bisher drei. Da haben wir in den letzten Jahren viel miteinander gerungen und geprüft, wie wir mit den aktuellen und zukünftigen Veränderungen am Besten fertig werden. Ich bin überzeugt, dass wir miteinander eine gute Lösung gefunden haben. Die wird sich jetzt in der Praxis bewähren müssen--und an ganz vielen Stellen überhaupt erst noch konkrete Form annehmen. Da sind wir mitten drin: "Learning by doing", das ist eigentlich genau das, was das Wort δοκιμαζω, das Paulus hier für "prüfen" verwendet, bedeutet. Und genau das, was uns hier auch neue Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Mir macht das Hoffnung. Das ist es auch, was wir am kommenden Sonntag miteinander feiern wollen. Ich lade euch herzlich ein, uns dabei--und bei dem Prozess des Lernens, Prüfens und Gestaltens--zu begleiten, auch wenn ihr vielleicht manches noch kritisch seht.

Prüfet alles und behaltet das Gute.

Bei dieser uns von Gott gestellten Aufgabe sollten wir nämlich aufpassen, nicht in eine der typischen Fallen zu tappen:

  • Nicht alles, was neu ist, ist schlecht. Früher war nicht alles besser. Wenn Gottes Geist mit uns voran geht, dann können wir zuversichtlich auch neue Dinge anpacken und prüfen, ob die nicht genau richtig für uns sind. Wer alles Neue von vornherein verweigert, der verpasst vielleicht das Beste, was ihm passieren könnte.
  • Nicht alles, was alt ist, ist schlecht. "Behaltet das Gute" kann uns Paulus doch gerade deshalb sagen, weil es so viel Gutes gibt, das unbedingt erhalten bleiben sollte. Das nehmen wir dankbar mit und ergänzen es mit neuem Guten, mit dem Gott uns entgegen kommt.
  • Wir müssen nicht alles behalten. Wer schon einmal umgezogen ist oder ein Haus entrümpelt hat, weiß, dass das eine gute Nachricht ist! Nicht alles ist es wert, aufgehoben zu werden. Manches war noch nie gut und man hätte vielleicht von Anfang an mehr "prüfen" müssen. Anderes hat seine Zeit gehabt. Das soll die Dinge gar nicht abwerten. Vieles war gut und erfolgreich und segensreich zu seiner Zeit. Aber manchmal ist die eben auch vorbei und es ist Zeit für etwas Neues. Dann danken wir Gott für das was war und gehen mit Hoffnung in das Neue das kommt. Manche Dinge hätten vielleicht auch schon längere Zeit verändert gehört. An manchen Stellen stecken wir viel Energie in Dinge, die heute nicht mehr das Prädikat "gut" verdienen. Nicht von Paulus, sondern (zumindest angeblich, das wäre noch zu prüfen) von den Dakota-Indianern stammt dazu eine wichtige Weisheit: "Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab." "Exnovation" (statt "Innovation") heißt das neue Schlagwort dafür. Wir müssen nicht alles behalten. Lassen ist mindestens genauso wichtig. Prüfet alles und behaltet das Gute.

Das bringt uns zu der vielleicht wichtigsten Frage: Was ist denn "das Gute"? Dazu gibt es ja auch so viele unterschiedliche Meinungen, wie es Menschen gibt (oder noch mehr). Was als "das Gute" betrachtet wird, verändert sich ja auch mit der Zeit. Woran soll man das denn also messen? Gibt es den überhaupt einen guten Maßstab dafür?

Ich habe gute Nachricht: "Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute, und in Ewigkeit."

Und natürlich ist er--und nur er allein!--unser Maßstab. "Was Christum treibet", würde Martin Luther sagen. Was Gott umtreibt, sehen wir nämlich in dem Christus, wie in uns die Heilige Schrift bezeugt. Allein in den letzten Tagen haben wir davon ja eine ganze Menge entdeckt: Dass er sich den Menschen zuwendet--und ganz besonders den Menschen, die sonst am Rande stehen. Dass bei ihm Raum für alle ist. Dass bei ihm Gnade und Wahrheit zu finden sind. Dass sich in ihm die ganze Menschenfreundlichkeit Gottes zeigt.

Prüfet alles und behaltet das Gute.

Wenn du dir nicht sicher bist, was das sein soll, dann schau auf Christus. Mehr "Gutes" geht gar nicht.

Wenn du dir nicht sicher bist, dann frage nach Christus. Schau auf das, was zu prüfen ist, und frage ganz konkret: Entspricht es dem Charakter Gottes, seiner Zuwendung, seinem Evangelium, seinem Handeln, wie wir es in Christus sehen? Führt es zu Liebe und zum Aufbau der Gemeinschaft? Fördert es Glaube, Liebe und Hoffnung? Ehrt es den Gott, der sich in Christus offenbart hat?

Mit diesen Fragen bist du auf jeden Fall auf der richtigen Fährte. Und: Du bist nicht allein. Nicht umsonst heißt es "prüfet" im Plural. Als Kirche, als Kinder Gottes, als die, die er mit Christi Leben und mit seinem Geist beschenkt, sind wir immer Auslegungsgemeinschaft. Wir haben gemeinsam die Aufgabe, mit einander zu prüfen und das Gute zu suchen.


Prüfet alles und behaltet das Gute.

Orange. Nicht vergessen: Orange. Das ist die entscheidende Farbe für das Prüfen deines Autos.

Für all die Fragen, vor denen wir als Kirche, als Gesellschaft und als Einzelne in diesem neuen Jahr stehen, sind wahrscheinlich ganz andere Farben wichtig: Das Weiß des Christus, in dem uns Gottes Licht leuchtet. In ihm haben wir Gnade und Wahrheit, Gottes Zuspruch und Anspruch und vor allem Gott selbst an unserer Seite. Grün, für die Hoffnung die uns daraus wächst. Nie vergessen, das gilt auch 2025: "Wir haben Hoffnung!". Wahrscheinlich brauchen wir für all das Prüfen, für das Behalten und auch für das Lassen auch 2025 die nachdenklichen violetten Zeiten, Passion und Advent, Buße und Besinnung, Pause vom Trubel und Zeit, auf das Wesentliche zu schauen. Und wir haben Rot bei uns, für den Heiligen Geist, dessen Wirken wir nicht unterdrücken, sondern entdecken und schätzen wollen.

Prüfen, Entdecken, Behalten und Lassen, Geist, Hoffnung und vor allem Christus selbst -- das ist das Gute, das wir auf jeden Fall behalten müssen.

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. (Römer 15,13)

Amen.