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Feb 02 2025 17 mins  

Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus unserem Herrn.

Aus dem Exodusbuch (auch 2. Mose genannt), aus dem 3. Kapitel:

1 Mose hütete die Herde seines Schwiegervaters Jitro. Jitro war der Priester von Midian. Einmal trieb Mose die Herde über die Steppe hinaus. So kam er an den Berg Gottes, den Horeb.  2 Da erschien ihm ein Engel des HERRN: Eine Flamme schlug aus einem Dornbusch. Mose bemerkte, dass der Dornbusch in Flammen stand und trotzdem nicht verbrannte.  3 Mose sagte sich: »Ich will hingehen und mir diese auffallende Erscheinung ansehen. Warum verbrennt der Dornbusch nicht?«  4 Der HERR sah, dass Mose vom Weg abbog und sich die Erscheinung ansehen wollte. Da rief ihn Gott mitten aus dem Dornbusch: »Mose, Mose!« Er antwortete: »Hier bin ich!«  5 Gott sprach: »Komm nicht näher! Zieh deine Schuhe aus! Der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land.«  6 Weiter sprach er: »Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.« Da verhüllte Mose sein Gesicht. Er hatte Angst davor, Gott zu sehen.  7 Der HERR sprach: »Ich habe die Not meines Volks in Ägypten gesehen. Die Klage über ihre Unterdrücker habe ich gehört. Ich weiß, was sie erdulden müssen.  8a Deshalb bin ich herabgekommen, um sie aus der Gewalt der Ägypter zu befreien. Ich will mein Volk aus diesem Land führen. Es soll in ein gutes und weites Land kommen, in dem Milch und Honig fließen. 10 Nun geh! Ich sende dich zum Pharao. Du sollst mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führen.«  13 Mose antwortete Gott: »Ich werde zu den Israeliten gehen und ihnen sagen: ›Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch.‹ Was ist, wenn sie mich fragen: ›Wie heißt er?‹ Was soll ich ihnen dann sagen?«  14 Da sprach Gott zu Mose: »›Ich werde sein, der ich sein werde.‹ Das sollst du den Israeliten sagen: Der ›Ich-werde-sein‹ hat mich zu euch geschickt.«  (Exodus 3,1-8a.10.13-14)

Eigentlich müssten wir alle barfuß sein. Wo Gott ist, da ist ein heiliger Ort. Da zieht man dann wohl die Schuhe aus. Das ist kein Ausdruck von Bequemlichkeit, wie man zu Hause die Straßenschuhe auszieht und dann sockig auf dem Sofa vielleicht sogar die Füße hochlegt. Es ist ein Ausdruck von tiefem Respekt. Das verlangt dir einiges ab--besonders in der Wüste. Wer schon einmal an einem heißen Sommertag barfuß über den Sandstrand gelaufen ist, weiß, wie sich das anfühlt. Wer schon einmal mit nackten Füßen einen geschotterten Weg gelaufen ist, der kann die steinige Wüste am Horeb gut nachempfinden. Nicht Bequemlichkeit: Wer vor Gott die Schuhe auszieht, signalisiert Ehrerbietung und Demut. Er lässt symbolisch den Staub und den Schmutz des alltäglichen Lebens zurück. Er macht sich verletzlich und zeigt damit seine Bereitschaft, sich Gott ohne Schutz und Barrieren zu nähern. Er verzichtet auf den eigenen sicheren Stand, auf Rechte und Ansprüche und unterwirft sich Gottes Autorität. Er begibt sich in den Status eines Sklaven, eines Dieners, bereit, Gott zu gehorchen und seinen Anweisungen zu folgen.

Geliebte Gottes in Gäufelden,

Eigentlich müssten wir alle barfuß sein. Wenn Gottes Gegenwart verlangt, die Schuhe auszuziehen, dann bräuchten wir gar nicht erst welche kaufen. Ist er denn nicht immer bei uns? Hat er denn nicht versprochen, schon in der Taufe und dann immer wieder, unser untrennbarer Begleiter zu sein in jeder Lage, an jedem Ort, an allen Tagen "bis an der Welt Ende" (Matthäus 28,20)? Bist du dir eigentlich bewusst, dass dein ganzes Leben, dein Sein, dein Denken und Handeln, deine Höhen und deine Tiefen, deine Träume und deine Zweifel--dass das alles in der Gegenwart Gottes stattfindet?

Ziehst du jetzt deine Schuhe aus?

Wirfst du jetzt alle deine Schuhe weg?

Wahrscheinlich nicht. Es gibt ja auch andere Wege, seine Haltung Gott gegenüber zum Ausdruck zu bringen--dem Gott gegenüber, der auf Schritt und Tritt mit mir geht. Aber ein wenig mehr Bewusstsein dafür, dass er da ist, würde uns--glaube ich--allen nicht schaden.

Was heißt das denn, in Gottes Gegenwart zu leben?

Das stellt ja dann notwendigerweise die Frage, wer dieser Gott eigentlich ist, den du Tag und Nacht um dich glaubst. Wer ist er denn, der, der dich überall hin begleitet? Was macht das denn aus, ihn an seiner Seite zu haben? Auf diese Frage kommt eigentlich alles immer wieder zurück: Wer ist denn Gott überhaupt?

Für meine Viertklässler habe ich den Gott-Sucher-Koffer gepackt. Den habe ich in jeder Relistunde dabei und wir überlegen miteinander ein Stück weiter, wie Gott ist--und vor allem, wie man das herausfinden könnte. Am Anfang waren im Koffer: Eine Lupe, um in den kleinen Dingen zu suchen. Eine Kerze, deren Licht uns an die Gegenwart des Unsichtbaren erinnert. Eine Krone für den König, ein Klangstab, ein Massageball--weil Gott uns gut tut. Ein Edelstein und ein Herz. "Darf man sich Gott überhaupt vorstellen?", stand auf einem der Fragekärtchen im Koffer. Wir haben festgestellt: Man kann gar nicht anders. Jeder von uns hat seine Vorstellung von Gott. Nur: Welche davon ist richtig? Und welche völlig falsch?

Inzwischen haben wir über Martin Luther geredet. Seither findet sich auch die Bibel in meinem Koffer. Dass wir in unserer Sprache lesen können, wie Gott Menschen begegnet ist, das finden wir großartig! Wir haben nämlich herausgefunden: Gott ist zwar unsichtbar, aber er zeigt sich uns Menschen immer wieder. Wir Erwachsenen würden sagen: Er offenbart sich. Er "legt sich offen". Am allereindrücklichsten hat er das getan, in dem er Mensch wurde. Deshalb gehört das heute auch in die Epiphaniaszeit, die sich mit der Frage beschäftigt: Was heißt das, "Jesus ist kommen"? Besser als irgendwo sonst sieht man an ihm, dem menschgewordenen Gottessohn, wie Gott wirklich ist.

Der Hebräerbrief im Neuen Testament beschreibt das in seinen ersten Sätzen ganz eindrücklich so: "Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welten gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe." (Hebräer 1,1-3 [BB]) An Jesus Christus sehen wir am allerbesten, wie Gott ist.

Aber auch schon vorher ist er ja den Menschen begegnet. Abraham, Isaak und Jakob können ihre Geschichten davon erzählen. Und Mose, hier, am brennenden Busch.

Die hatten natürlich auch alle ihre Vorstellungen, wie Gott sein müsste. Pardon, wahrscheinlich eher: Wie Götter sein müssen. Denn in ihrer Zeit, in ihrem Umfeld, war es völlig selbstverständlich, an eine Vielzahl von Göttern zu glauben. Alle taten das, überall. Jeder hatte das von Klein auf gelernt. Ra, Osiris und Anubis, Baal, Aschera und Astarte, Marduk, Dagon, Moloch, Ischtar, Tammuz, Chemosh, Amun, Horus, Thoth, Ptah, Set und Hathor. Diese Götter repräsentierten verschiedene Aspekte des Lebens, der Natur und der menschlichen Erfahrung in den Kulturen des alten Nahen Ostens zur Zeit des Mose. Man glaubte sie in den Sternen zu sehen und in der Natur, in den prächtigen Standbildern der großen Tempel. Man erzählte fabelhafte Geschichten von ihrem Wirken. Die Götterwelt des alten Orient war fantasiereich und bunt.

Alle diese unterschiedlichen Göttervorstellungen hatten vieles gemeinsam: Götter begegneten den Menschen schon, aber bestimmt nicht allen Menschen. Je reicher, mächtiger und einflussreicher man war, desto näher war man auch an Gott. Vom ägyptischen Pharao, dem Mose bald begegnen sollte, meinte man, er sei ein Sohn des Sonnengottes selbst. Zeigte nicht all seine Macht und sein Reichtum, dass er den größten Gott auf seiner Seite haben musste? Die Götter waren immer auf der Seite der Großen und Starken. Man begegnete ihnen im Zentrum der Macht, in den ehrfurchtgebietenden Tempeln der reichen Hauptstädte.

Was hier am brennenden Busch geschieht, das stellt das alles auf den Kopf. Niemand hätte sich ausdenken können, dass Gott einem einfachen Schafhirten quasi am Ende der Welt, in der einsamen Wüste, begegnen würde. Niemand hätte sich ausdenken können, dass Gott gerade zu einem aus dem Sklavenvolk redet, aus der untersten Schicht im ägyptischen Reich. Niemand hätte ahnen können, was hier gesagt wird: Gott ist nicht an Orte oder Naturphänomene gebunden. Er ist der ewig Seiende, einfach da, weil er da ist. Aber eben: Da. Da, wo seine Menschen sind. Da, wo er ihnen nahe sein möchte. Da "für euch" übersetzen die Theolog:innen heute diese Beziehung Gottes, der sich hier zeigt.

Wäre Mose nicht schon barfuß, das hätte ihm die Schuhe ausgezogen! Jetzt verhüllt er eben aus Ehrfurcht sein Gesicht.

Hört doch, schaut doch, wie Gott sich selbst vorstellt:

"Ich bin der Gott deiner Väter, Abrahams, Isaaks und Jakobs.", sagt er. Ich bin der, der schon immer bei euch war. Ich halte zu euch. Ich habe euch nicht vergessen. Auf mich kann man sich verlassen. Mir kann man vertrauen. Bei mir muss man nicht befürchten, am Ende doch reingelegt zu werden. Ich suche nicht nur meinen eigenen Vorteil. Ich war bei Abraham. Ich war bei Isaak. Ich war bei Jakob. Ich bin auch bei euch. Ich ändere mich doch nicht.

"Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit." Damit haben wir am Neujahrstag gemeinsam das Jahr begonnen. Das ist es, was uns Hoffnung gibt, auch wenn sich vieles um uns her verändert. Auch wenn uns viele Dinge Sorgen machen. Auf Gott ist Verlass. Bei ihm weiß ich, woran ich bin. Seine Treue hat kein Ende. Seine Güte ist jeden Morgen neu. Und: "welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht."

"Ich habe die Not ... gesehen.", sagt Gott. Und weil er ja Derselbe, der Treue ist, kennt er die Not auch heute. Er sieht nicht nur die in den schicken Häusern, sondern auch die, die sich keine Wohnung leisten können. Er schaut in die Elendsviertel dieser Welt. Er kennt die Menschen, die aus unserem Müll noch versuchen zu leben. Er kennt die, die sich auf den Weg machen, weil sie zuhause nicht mehr überleben können. Er weiß um die, die ihre zerbombten Häuser verlassen mussten. Er sieht die, die wegen ihrer Meinung, wegen ihres Glaubens, wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität, Verfolgung, Gefängnis, Folter oder gar den Tod fürchten müssen. Gott schaut hinein in die grausamen Lager in Libyen, er sieht die manövrierunfähigen Schlauchboote auf dem Mittelmeer, er kennt die menschenunwürdigen Zustände in unseren Lagern wie Moria. Gott ist auch heute noch der, der die Not sieht. Gott ist auch heute noch der, dem kein Mensch egal ist. Das ist es, wer er ist.

"Die Klage über ihre Unterdrücker habe ich gehört.", sagt Gott. "Ich weiß, was sie erdulden müssen." Wer hätte gedacht, dass sich Gott für die hebräischen Sklaven in Ägypten interessiert? Und wer sieht ihn heute auf der Seite der Rechtlosen, der Geflüchteten, der Armen, derer die nichts haben. Wer sieht ihn als den, der sich bewusst, zuerst und vor allem anderen an den Rand stellt, wo nur Ohnmacht herrscht?

Mir ist bewusst, dass man für den Gott, der die Not sieht, auch viele andere Beispiele hätte finden können. O, ich bin Gott unendlich dankbar, dass er persönliche Nöte sein Leben berühren, die vielleicht in ihrer Tragweite viel weniger schwerwiegend sind, als die, die ich gerade beschrieben habe. O, was bin ich ihm dankbar, dass auch ich, einer der privilegiertesten Menschen dieser Welt, ein weißer, deutscher, gebildeter, Cis-Mann aus der Mittelschicht, zu ihm kommen darf mit dem, was mich bewegt. Aber, ihr Lieben, wer Gott nur noch auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sieht; wer Gott nur zum therapeutischen Wunscherfüller für gutsituierte Mitteleuropäer macht, der ignoriert ja seine Selbstvorstellung komplett. Der hat nicht verstanden, wer Gott ist. Und der steht am Ende auch nicht da, wo Gott steht. Gott ist der, der die Klage der Unterdrückten hört.

Geliebte Gottes in Gäufelden, egal wie schlecht die Populisten unser angeblich so kaputtes Land reden: "Die Unterdrückten" dieser Welt, das sind nicht wir!

"Deshalb bin ich herabgekommen, um sie ... zu befreien.", sagt Gott. Das ist es nämlich, wofür er steht: Freiheit für die Unterdrückten. Luft zum Atmen für die, die bisher keine hatten. Weite, neues Land, Hoffnung und Zukunft für die, die bisher ums nackte Überleben kämpften. Das ist es, wer er ist: Wegebner für die Sklaven auf dem Weg in die Freiheit. Wundervollbringer für die, die keine Chance haben. Worteinhalter für die, die alle im Stich lassen. Lichtstrahl im Dunkel, wo es keine Hoffnung, nur Verzweiflung gibt.

Glaubt ihr wirklich, er würde Menschen in Lager stecken?

Glaubt ihr wirklich, er würde Schutzsuchenden die Tür vor der Nase zuschlagen?

Glaubt ihr wirklich, er würde Menschen ausschließen oder herabsetzen wegen ihres Geburtsortes, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer Hautfarbe?

Glaubt ihr, es ist in seinem Sinn, wenn schreckliche Tragödien wie die Morde in Aschaffenburg, Taten eines psychisch kranken Menschen, instrumentalisiert werden, um Stimmung gegen andere zu machen?

"Ich bin herabgekommen, um sie ... zu befreien" -- was denkt ihr denn, wie Gott-gemäßes Handeln hier aussieht?


"Was ist, wenn sie mich fragen: ›Wie heißt er?‹ Was soll ich ihnen dann sagen?"

Von ihm zu reden, auf ihn zu zeigen, Antworten auf diese Frage zu geben -- "Evangelium", gute Nachricht -- das ist unsere Aufgabe!


Ich werde sein, der ich sein werde. Ich bin da. Für euch.

Ich bin der treue Gott. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.

Ich bin der Gott der Unterdrückten und der Außenseiter.

Ich bin der Gott, der die Not sieht.

Ich bin der Gott, der die Klagen hört.

Ich bin der Gott, der für Freiheit steht.

Ich bin da.


Ihr Lieben,

Eigentlich müssten wir alle barfuß sein. Wir leben, jeden Augenblick, in seiner Gegenwart.

Barfuß sein ist ein nettes Symbol dafür. Es geht aber auch anders.

Statt barfuß zu gehen könnten wir schauen, wie wir reden. Unsere Worte sagen ganz viel über uns aus -- und über den Gott, den wir an unserer Seite glauben. Oft merken es viele gar nicht mehr, wie sehr Sprache ausgrenzen und entmenschlichen kann. "Zustrombegrenzungsgesetz" -- das ist doch kein "Strom". Das sind Menschen! Jeder Einzelne von Gott gesehen und geliebt.

Statt barfuß zu gehen könnten wir den Mund aufmachen gegen Ausgrenzung und Hass, gegen infame Behauptungen und Rassismus, gegen Gewalt und Hetze. Ich bin so froh, dass so viele das machen in diesen Tagen. Auch die großen Kirchen als Institutionen haben sich immer wieder deutlich geäußert. Lasst uns die Stimme des Gottes, der Sklaven befreit, hörbar machen!

Statt barfuß zu gehen sollten wir überlegen, was wir in drei Wochen in der Wahlkabine tun. Auch dein Kreuz dort setzst du in der Gegenwart Gottes. Wirst du das mit bedenken? Wer meint, die Wahl von rechtsextremen Parteien sei damit vereinbar, der kennt nicht denselben Gott, den ich kenne. Seine Worte, seine Selbstvorstellung, am brennenden Busch und in Jesus Christus, sprechen eine andere Sprache.


Geliebte Gottes in Gäufelden,

Behaltet eure Schuhe an.

Es braucht keine solchen Symbole. Es braucht Menschen, die sich bewusst sind, dass sie in Gottes Gegenwart leben. Menschen, an denen man sehen kann, wie er ist:

Wegebner. Wundervollbringer. Worteinhalter. Lichtstrahl im Dunkeln.

Das ist, wer er ist.

Und er ist da. Bei uns.

Amen.