Wie viele Wörter hört ein Mensch wie ich durchschnittlich an einem Tag? Es heißt, es sind so zwischen 20.000 und 30.000 Wörter. Jeden Tag.
Den ganzen Tag über prasseln Worte auf mich ein. Während der Bahnfahrt ins Büro - wenn ich dabei einen Podcast höre, sind es schon da besonders viele. Im Büro angekommen, wechsle ich mit den Kolleginnen Worte. Dann muss ich in irgendeine Sitzung, da sind es gewöhnlich nochmal besonders viele Worte … Wenn ich am Nachmittag wieder zuhause angekommen bin, erzählen mir die Kinder von ihrem Tag. Dann muss mein Mann noch was mit mir besprechen, und später schauen wir zusammen noch eine Fernsehsendung und die Tagesthemen und hören dadurch nochmal ein paar Tausend Wörter, bis es spät am Abend endlich wieder still wird.
An wie viele von diesen Tausenden von Wörtern, die ich heute im Lauf des Tages hören werde, werde ich mich heute Abend noch erinnern können? Es werden vermutlich nicht viele sein. Oft sind es diejenigen Wörter, an die ich mich erinnere, die gleichzeitig noch von etwas anderem begleitet wurden, was sich mir eingeprägt hat. Die leuchtenden Augen eines meiner Kinder, das mir erzählt, dass es zu einem Geburtstag eingeladen ist. Und in der Sitzung auf Arbeit dieser Moment der Stille, als sich zwei Arbeitskollegen nach einem Wortgefecht plötzlich eingestanden haben, dass sie sich gerade völlig verrannt hatten. Und wie der eine dem anderen die Hand auf die Schulter gelegt hat und beide lachen mussten. Oder diese eine Frau, der ich geholfen habe, den Kinderwagen in den U-Bahnhof hinunterzutragen. Die hatte gerade mal zwei Wörter gesagt: „Bitte“ und „danke“. Denn ich glaube, viel mehr Deutsch konnte sie gar nicht. Aber an diese zwei Wörter kann ich mich erinnern, und vor allem an ihr dankbares Gesicht.
Alle anderen Wörter? Was ist mit denen? Viele, viele davon haben sich erst mal fürchterlich wichtig angehört. Und waren dann aber doch nur heiße Luft mit nichts dahinter.
Im Lehrtext zur heutigen Losung der Herrnhuter Brüdergemeine heißt es heute: „Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.“ Das steht im 1. Korintherbrief, Kapitel 4, Vers 20. Der Apostel Paulus wusste auch genau, was er da schreibt. Er hatte gerade selber mit solchen Menschen zu tun, die sehr viele Worte von sich gegeben haben, die sich großartig angehört haben. Einige dieser Menschen konnten wohl besser reden als Paulus selbst. Sie haben alle Zuhörer mit ihren Worten in den Bann geschlagen und sich mit ihrer Redekunst wichtig gemacht. Aber Paulus bleibt gelassen. Er sagt: Es wird sich schon zeigen, ob an ihren Worten etwas dran ist oder ob das nur heiße Luft ist. Das Reich Gottes besteht nicht aus Worten, egal wie schön oder überzeugend sie sind oder wie laut sie gesprochen werden. Das Reich Gottes erweist sich in Kraft. Es erweist sich dort, wo wirklich etwas geschieht. Wo wirklich Veränderung bewirkt wird, wo Heilung geschieht und Hoffnung entsteht. Wo Freunde geschenkt wird und wo Gnade sichtbar wird. Die Anzahl der Worte ist dabei nicht wichtig. Oft sind es ja gerade dann, wenn etwas von der Kraft des Reiches Gottes sichtbar wird, nur ganz wenige Worte.
Von mir waren das jetzt gerade auch schon wieder 563 Wörter. Aber ich bin ja jetzt auch wieder still.
Autor: Jutta Schierholz
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