Jürgen Jester
(Erzähler)
Hallo liebe Hörer und Hörerinnen!
Und wieder lässt mich das Hobby des Friesenzeit Podcasts nicht los.
Die neue Folge entstand durch die nette Nachricht von Ralf und Melli von der Insel Juist. Sie brachten mich erst auf die Spur, die langsam an Druckerschwärze verliert und es meiner Meinung nach lohnt, erzählt zu werden. Es fühlt sich gut an, davon zu erzählen und die Namen derer nochmal in Erinnerung zu rufen. Ich hoffe es ist nicht zu gruselig – ich weiß nicht, ob jemals Kinder in diesen Podcast hineingehört haben?
Ich hoffe die neue Folge gefällt Dir und kann vielleicht beim Einschlafen und Träumen von Ostfriesland helfen ;-) Wie immer freue ich mich natürlich über jeden Kommentar, neue Idee oder Anregungen aller Art :)
Viele liebe Grüße aus Wiesmoor,
Jürgen Jester
Die Legende von Juistine
Das Transcript des Podcasts
In einer Jahreszeit, in der die Stürme der Nordsee oft wild tobten und die Küstenbewohner Ostfrieslands eher in Demut und Furcht vor den Naturgewalten lebten, ziehen sich die meisten Urlauber von den Inseln häufig zurück. Wer die Ruhe und den Frieden der Abgeschiedenheit sucht, findet hier den perfekten Ort, um aus der stressigen Zivilisation zu fliehen und die Seele einmal baumeln zu lassen.
Doch den 14. November des Jahres 2001 sollte eine Urlauberin in Ihrem Leben nicht mehr vergessen können. An diesem Tag entschied sie sich, den vorwinterlichen Strand der Insel zu besuchen, um dort jedoch einen grauenhaften Fund machen. Ein solcher Fund, der normalerweise nur anderen passiert oder besser noch, im Krimi-Abendprogramm einen würdigen Platz finden würde:
Die Wasserleiche einer unbekannten Frau, die am Strand von Juist von der Morgenflut angeschwemmt wurde.
Der schnell gerufene Inselpolizist musste mit dem Rad zum Fundort eilen, denn Juist ist eine autofreie Insel. Wenig später machte sich der hinzugerufene Kriminaloberkommissar Michael Scheffer von der zuständigen Polizeidienststelle Norden, einer kleinen Stadt am Festland, ebenfalls auf den Weg auf die Insel.
Nur den Wind des Meeres und den Rhythmus der Pferdehufe im Ohr erreichte der Kriminaloberkommissar den Fundort mit der Kutsche, um sich der rätselhaften Geschichte anzunehmen.
Doch nicht erst die forensischen Ergebnisse zeigten auf, dass die Leiche schon ein ganzes Jahr im Wasser getrieben sein musste, bevor die Nordsee die traurige Hinterlassenschaft an das Land zurückgab. Inzwischen hatten sich sogar schon Muscheln an den Knochen angesiedelt und diesen Anblick der Überreste brauche ich sicher nicht weiter zu beschreiben.
Die sich im fortgeschrittenen Zerfall befundene Leiche trug keinerlei Erkennungsmerkmale mehr mit sich, womit man diese hätte schnell identifizieren können. Die Kleidung der Unbekannten jedoch, die von fernen Gestaden stammte, offenbarte Schuhe von „Marks & Spencer“, Socken von „Bridgedale“ und eine Uhr von „Sekonda Quarz“. Kriminaloberkommissar Scheffer wusste um die Wichtigkeit der Kleinigkeiten, die zu einer Lösung führen könnten.
Die Tote trug zudem vollständige Zähne, und in diesem Detail sah Scheffer eine Möglichkeit – das Gebiss mit den Aufzeichnungen eines Zahnarztes zu vergleichen.
Doch die Todesumstände blieben im Dunkeln. Die wilden Wasser der Nordsee und die lange Zeit im Wasser hatten alle Spuren verwischt, die auf ein gewaltsames Ende hätten hindeuten können. Kriminaloberkommissar Scheffer erkannte die Stille, die ‚Juistine‘ umgab, und er wusste um die Not der Angehörigen, die im Ungewissen blieben. Seine Entschlossenheit war ungebrochen, und er ließ nicht locker. Er wandte sich an das Landeskriminalamt. Ohne Erfolg. Dann an das Bundeskriminalamt. Doch auch deren Antwort war wie das Rauschen der Wellen im Sturm. Als Letztes galt es Interpol zu kontaktieren: Doch hier blieben die Auskunftsersuchen wegen der Anschläge des 11. September und deren Fahndung nach Al-Qaida-Verdächtigen unbearbeitet und die Ermittlungen zogen sich weiter hin.
So verstrich die Zeit. Da das Meer die mysteriöse Unbekannte am Strand der Insel schon vor Monaten angespült hatte, bekam diese bald auch einen neuen Namen. Die namenlose Frau, die als stummer Zeuge einer noch unbekannteren Tragödie auf Juist angespült wurde, wurde bald schon ‚Juistine'“ genannt – benannt nach dem Ort ihres Fundes.
Kriminaloberkommissar Scheffer war ein Mann von Eifer und Ehrgeiz, aber auch mit Lachfalten auf seinem Gesicht, die von den Jahren der Dienstpflicht zeugten. Sein Herz trieb ihn voran, die Geheimnisse von ‚Juistine‘ zu ergründen, denn es verblieben nur noch ein paar Jahre, ehe er in den wohlverdienten Ruhestand eintreten wollte.
Für ihn ging es nur noch darum, ‚Juistine‘ ihre Identität zurückzugeben und ihrer Seele endlich die letzte Ruhe zu gewähren.
Unkonventionelle Wege mussten beschritten werden. Kriminaloberkommissar Scheffer kontaktierte einen Deutschlandkorrespondenten der BBC, und so begann der Wind der Geschichte zu wehen. Eine Lawine von Ermittlungen wurde ausgelöst, und die wichtigen englischen Tageszeitungen berichteten von ‚Juistine‘ und ihrem einsamen Schicksal. Doch die Wahrheit blieb hartnäckig verborgen.
Doch irgendwann ist jeder Weg gegangen. Gemeinsam mit den Insulanern beschloss man schließlich, dass ‚Juistine‘ eine würdige letzte Ruhe auf dem Inselfriedhof verdient habe.
Doch Ihre letzte Ruhe, die sie auf Juist gefunden hatte, sollte nicht das Ende ihrer Geschichte sein. Man fühlte sich dem Andenken der Unbekannten verpflichtet.
Und Beharrlichkeit zahlt sich am Ende aus: Die forensischen Ergebnisse beendeten irgendwann die Geschichte außergewöhnlicher Beharrlichkeit sowohl der deutschen Polizei als auch der Familie der Toten. Dank eines DNA-Abgleiches und mit Prüfung der vor der Beerdigung genommenen Zahnabdrücke konnte die bis dato Unbekannte endlich identifiziert werden konnte.
Avril Quin, die auch heute noch auf dem Inselfriedhof liegt, war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 54 Jahre alt.
Erst neun Monate, nachdem sie auf Juist angespült wurde, konnte sie identifiziert werden.
Die genauen Umstände des Todes konnten nie geklärt werden. Avril war vor dem Zeitpunkt ihres Verschwindens schon lange sehr niedergeschlagen und depressiv und fühlte sich, da ihre eigene Mutter im Sterben lag, sehr alleine.
Avril Quin verschwand im Oktober 2000, als sie von einem Freund im Krankenhaus abgesetzt wurde. Angeblich, um Freunde zu besuchen. Was dann geschah, und ob sie einen Unfall hatte und ins Meer fiel oder sich selbst das Leben nahm, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben.
Als die Hinterbliebenen schließlich das Grab auf der Insel besucht hatten, einigten sie sich darauf, dass Avril auf Juist verbleiben sollte. Juist ist wäre genau der Ort, den Avril in ihr Herz geschlossen hätte. Avril wurde auf dem Inselfriedhof zwischen Dünen und wilden Blumen begraben und ist, nach Angaben der Angehörigen, der schönste Friedhof, den die Familie je gesehen habe.
Und so bleibt die Legende von ‚Juistine‘ in den Liedern der Wellen und im Windhauch der norddeutschen Küste lebendig. Eine Erinnerung an einen Kriminalkommissar, der zu seinen Lebzeiten immer gegen die Strömungen der Zeit kämpfte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Eine Wahrheit, die über den eigenen Tod hinaus reicht und die Bedeutung von Ehre und Hingabe in den Herzen der Menschen auf ewig verankert.
Wenn Du es bis hierher geschafft hast, möchte ich mich kurz bei Dir dafür bedanken, dass Du eine weitere Folge der Friesenzeit bis zum Ende gehört hast. Diese Folge verdanken wir übriges der netten Nachricht von Ralf und Melanie Lüpkes.
Hast Du auch eine Idee für eine neue Folge? Melde Dich doch einfach über Friesenzeit auf Instagram oder im Blog, ich würde mich freuen.
Bis bald, wenn es wieder heißt, willkommen zur Friesenzeit.
Credits und weiterführende Links
Weiterführende Links:
Wasser von Dennis auf Pixabay
Titelmusik von Julius H. auf Pixabay
Weitere tragende Musik in der Geschichte von Daddy_s_Music auf Pixabay
Weiterführende Links und Quellen zur Folge:
https://www.theguardian.com/uk/2002/aug/07/johnhooper
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