Bußgebet in Anfechtung


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Mar 01 2025 13 mins   20

Was ist das eigentlich für ein Psalm? Normalerweise, wenn es einem Psalmschreiber nicht gut geht, klagt er eine Runde, bekommt dann aber fast immer die Kurve und endet hoffnungsvoll im Lobpreis – meistens im zweiten Teil des Psalms. Das ist das Muster von vielen Psalmen. Doch Psalm 6 ist anders. Hier gibt es noch kein Happy End, keine Wendung, keinen Lobpreis.



Dem, der diesen Psalm geschrieben hat, geht es richtig schlecht: Er ist schwach, unter Schock, müde. Er weint die ganze Nacht und hat Angst. Er fühlt sich bedrängt, stöhnt unaufhörlich und betet wie ein Verzweifelter. Er ist körperlich und seelisch am Ende und denkt an den Tod. Welche Diagnose würde er wohl heute erhalten, wenn er zu einem modernen Arzt ginge? Depressive Phase? Chronische Erkrankung? Fatigue? Psychosomatische Beschwerden? Schmerzpatient? Anpassungsstörung? Körperliche Stressreaktionen? Angststörung?



Für den Psalmschreiber fühlt es sich an, als ob Gott zornig auf ihn ist: „Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm! Herr, sei mir gnädig …“ (Vers 2-3). Selbst Menschen, die schon viel mit Gottes Güte erlebt haben, können sich in extremen Leidenszeiten oder Lebenskrisen so fühlen, als wäre Gott nicht da, als greife er nicht ein oder sei zornig. Gedanken wie diese können aufkommen: „Wie kannst du, der allmächtige und liebende Gott, sowas zulassen?“ „Warum muss ausgerechnet ich das durchmachen?“ „Warum werden meine verzweifelten Gebete nicht gehört?“ „Wie lange geht das noch so?“ „Wird das Leben jemals wieder gut sein? Werde ich jemals wieder Freude empfinden?“ „Wie lange werde ich überhaupt noch leben? Kann mir überhaupt irgendjemand helfen?“



Wenn das Leben sich über einen längeren Zeitraum matt, schmerzvoll, verzweifelt und wie tot anfühlt, besteht die Gefahr, den Glauben an die Gnade Gottes zu verlieren. Es wird schwer, daran festzuhalten, dass Gott helfen will, helfen kann und helfen wird. Solche Phasen sind schwer auszuhalten. „Ach, Herr, wie lange noch?“ (Vers 4).



Wer dermaßen im Loch sitzt, wird in seinen Gebeten unter Umständen direkter und fast schon dreist: „Wende dich, Herr, und errette meine Seele, hilf mir um deiner Güte willen! Denn im Tode gedenkt man deiner nicht; wer wird dir bei den Toten danken?“ (Vers 5-6). Es wirkt, als wollte der Psalmist Gott daran erinnern, dass es doch zu seiner Güte passt, zu helfen. Er sagt: „Es bringt doch nichts, mich sterben zu lassen, denn im Totenreich gibt es keine Dankbarkeit.“



Mit diesem Gebet erinnert der Psalmbeter nicht nur Gott an dessen Güte, sondern auch sich selbst. Er bekennt: „Ich will dir lieber in diesem Leben noch danken können.“ Doch aktuell gibt es für ihn nichts zu danken. Er braucht eine echte Wende von Gott – einen Eingriff, der das Ruder herumreißt.



So kann es nicht weitergehen. Der Kranke sieht sich umzingelt von Bedrängern, Übeltätern und Feinden. Ob hier Krankheitssymptome gemeint sind oder andere Menschen, bleibt unklar. Vielleicht hängt beides zusammen? Durch den Stress von außen krank geworden? Er wäre nicht der Erste und auch nicht der Letzte, dem es so ergeht.



Und dann sagt der Psalmist plötzlich: „Der Herr hört mein Flehen, mein Gebet nimmt der Herr an“ (Vers 9). Woher weiß er das? Ist das Glaube? Woher kommt dieses Vertrauen auf einmal? Seine Situation hat sich ja nicht plötzlich verändert. Seine Perspektive aber scheinbar schon. Er ringt darum, von seinem Leiden weg wieder auf die Möglichkeiten Gottes zu schauen – was wirklich nicht einfach ist, wenn man sich mit akutem Leiden herumschlägt.



Manchmal fehlt in solchen Momenten sogar die Kraft, die Bibel aufzuschlagen oder zu beten. Vielleicht kennen Sie solche Situationen selbst, haben sie bei anderen beobachtet oder stecken gerade mittendrin. In solchen Lebenslagen scheint es oft unmöglich, Glauben und Hoffnung zu entwickeln. Vor allem dann, wenn das Leid länger anhält. Denn am Anfang einer Krise habe ich oft noch Hoffnung und Glauben. Ich setze alles ein, was ich gelernt habe: Gebet, geistlichen Kampf, positive Gedanken, Dankbarkeit, Heilungsgebete, das Bitten um Gebet durch andere, das Hören von Lebensberichten. Doch was, wenn dieser Kampf um die eigene Seele nicht Tage oder Wochen, sondern Monate oder Jahre dauert – und nichts davon zu wirken scheint?



Immer wieder kommen Enttäuschungen auf, auch Gott gegenüber. Die Ent-Täuschung deckt die Täuschung auf, dass Gott schnell eingreift. Solche Erfahrungen können uns an Gottes Güte und Allmacht zweifeln lassen. Und niemand sollte uns wegen solcher Zweifel verurteilen.



Viele Menschen verlieren in solchen Krisen ihren Glauben und Lebenssinn. Kann Psalm 6 da irgendwie helfen? Der Schreiber schließt mit den Worten: „Der Herr hört mein Flehen, mein Gebet nimmt der Herr an. Es müssen alle meine Feinde zuschanden werden und sehr erschrecken; sie müssen weichen und zuschanden werden plötzlich“ (Vers 10-11).



Hier lohnt es sich, auf den Autor dieses Psalms zu schauen: Es ist der berühmte König David. Ein großer Führer und Dichter, ein mutiger Volksheld, der als junger Mann den übermächtigen Goliath besiegte. Doch auch dieser gesegnete Mann Gottes war nicht frei von Krisen und Krankheiten. David kämpfte mit Schuld, Scheitern, Sünde, Anfechtung, diversen Feinden, Lebensgefahr und Krankheiten.



Schon allein das kann uns Trost geben: Wir sind in schweren Zeiten nicht allein. Solche Zeiten gehören zum Menschsein dazu. Die allerwenigsten bleiben in ihrem Leben davon verschont. Gesegnet zu sein und von Gott gebraucht zu werden, schließt die dunklen Seiten des Lebens nicht aus – auch wenn wir Bewahrung erleben dürfen, so wie David sie oft erlebt hat.



David hat in seinem Leben gelernt, dass es Hilfe und Auswege gibt. Er erlebte Gottes Eingreifen konkret: im Kampf mit Bären und Löwen, beim Sieg über Goliath, bei der Flucht vor König Saul, in zahlreichen Schlachten und sogar bei den Konsequenzen seiner eigenen Sünde. Trotz allem wusste er um Gottes Gnade und Güte – und erlebte sie immer wieder neu.



Von David und seinem Psalm können wir Folgendes lernen:





  1. Wir dürfen, ja müssen, unser Leid mit Gott teilen. Wir dürfen ihm klagen, zu ihm rufen und um Hilfe schreien. Kein Gebet ist in dieser Lage zu dreist: „Herr, ich frage dich: Wie lange noch?“


  2. Im Glauben dürfen wir aussprechen, dass Gott unsere Gebete hört – selbst wenn die Situation noch immer hoffnungslos erscheint: „Mein Gebet nimmt der Herr an.“


  3. Unsere jetzige Lage muss nicht so bleiben: Feindliche Lebensumstände, die momentan so übermächtig erscheinen, können und werden im letzten weichen und verschwinden: „Es müssen alle meine Feinde zuschanden werden.“



Lassen Sie uns zurückblicken auf das, was Jesus für uns vollbracht hat – der selbst gelitten hat und dessen Leiden zu einem Segen für uns alle wurde. Wie es im Hebräerbrief heißt: Er „kann mitfühlen mit unseren Schwachheiten“.



Lasst uns deshalb in unseren Krisen und Krankheiten mutig beten, mutig hoffen und mutig glauben. Gott hat sich nicht verändert. Er ist immer noch derselbe – voller Gnade, voller Güte und voller Kraft, uns aus dem tiefsten Tal herauszuholen.



Vielleicht können wir gerade heute beten: „Herr, ich vertraue darauf, dass du mein Gebet hörst. Hilf mir, weiter an deiner Güte festzuhalten.“



Amen.


Autor: Pastor Christoph Bergfeld





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