Das Lagebild zur häuslichen Gewalt des Bundeskriminalamts zeigt in den vergangenen Jahren einen traurigen Trend: Seit 2018 ist die Anzahl von Gewalttaten innerhalb der Familie und Partnerschaften deutlich angestiegen, um 13 Prozent auf mehr als 240 000 Fälle. „Weit überwiegend sind es weibliche Personen, die durch ihre (Ex-)Partner Opfer Häuslicher Gewalt werden“, heißt es im Lagebild. Laut Familienministerium wird in Deutschland jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner. Wie kann eine Gesellschaft mit so viel Gewalt und Hass umgehen? Darum geht es in dieser Folge von „In aller Ruhe“ mit Carolin Emcke.
Christina Clemm, geboren 1967, ist Rechtsanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin. Seit fast dreißig Jahren vertritt sie Opfer geschlechtsspezifischer und rassistisch motivierter Gewalt. Clemm gehörte zur Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts. Als Sachverständige war sie bereits mehrfach in öffentlichen Anhörungen im Bundestag geladen, zum Beispiel 2021 zum Antrag „Femizide in Deutschland untersuchen, benennen und verhindern“. In diesem September erschien ihr neues Buch Gegen Frauenhass.
Clemms Beruf? „Durchaus gefährlich“
Über die Auswirkungen ihrer Arbeit im Alltag sagt Clemm: „Die gefährlichsten Menschen in meinem Leben sind vor allem diese Ehemänner und Partner, die nicht mehr an ihre Ex-Partnerin herankommen.“ Denn sie selbst sei trotzdem erreichbar: „Ich bin öffentlich, man muss sich einen Termin bei mir geben lassen können. Deswegen ist das durchaus gefährlich.“ Zudem mache es natürlich etwas mit der Psyche, wenn man sich täglich mit Gewaltdelikten beschäftige: „Es macht was mit uns, Obduktionsberichte zu lesen. Es macht was mit uns, diese schrecklichen Fotos anzusehen.“
In den Gesprächen mit Opfern häuslicher Gewalt hat Clemm immer wieder festgestellt, dass sie vor allem eines brauchen: „Sie brauchen Solidarität. Sie brauchen ein Umfeld, das Ihnen glaubt.“ Das sei auch wichtig, weil „wenn wir von Personen sprechen, die jahrelang Misshandlungen durch ihren Partner erlebt haben, dann sind das häufig Menschen, deren Selbstbewusstsein quasi systematisch zerstört worden ist.“
Gewalt breche aus einer „emotionalen Gewohnheit“ heraus
Interessant sei dabei, wie die Gesellschaft mit dem weit verbreiteten Problem der Gewalt gegen Frauen umgehe. Zum Beispiel bei der Erziehung von Mädchen: „Wir bekommen beigebracht, dass wir uns schützen sollen vor dieser Gewalt, dass wir irgendwie selber schuld sind, wenn wir uns in Gefahr begeben haben, dass wir uns eben auf eine bestimmte Art und Weise im öffentlichen Raum zu bewegen haben, dass wir Vorkehrungen treffen müssen“, sagt Clemm. Es sei dabei ein Missverständnis, wenn man denkt, dass diese Gewalt aus einem emotionalen Impuls des Hasses heraus komme. Sie breche vielmehr aus einer „emotionalen Gewohnheit“ aus. Deshalb habe sie auch überlegt, ob ihr Buch wirklich Gegen Frauenhass heißen solle, oder „ob es nicht eher Patriarchaler Hass heißen sollte oder Männlicher Hass.“
Clemm betont in dieser Folge auch, dass es eine Verbindung zwischen Frauenhass und rechtsextremen Terror: „Es gab nur wenige Stimmen, die thematisiert haben, dass bei dieses ganzen entsetzlichen rechtsextremen Attentate der letzten Jahre und Jahrzehnte, dass in diesen Pamphleten der Täter – oder eben dann auch in den Taten – ein unglaublicher Frauenhass eine wichtige Rolle spielt.“ Frauenhass sei „identitätsstiftend für rechtsextreme Bewegungen“, sagt Clemm. Das Gefährliche dabei: „Das setzt sich fort in die Mitte der Gesellschaft.“ Und letztlich diene der Antifeminismus als Kitt, auf den sich breite Teile der Gesellschaft einigen könnten.
Was würde Christina Clemm gerne ändern, in der Ermittlungsarbeit bei der Polizei, in den Strukturen unserer Gesellschaft? Und: Wie geht Clemm mit Drohungen gegen sich selbst um?
Empfehlung von Christina Clemm
Christina Clemm empfiehlt das Theaterstück Prima Facie von Suzie Miller, in der Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin. Das Stück „ist sehr nah an meinem Beruf. Da geht es um eine sehr erfolgreiche Strafverteidigern, die im ersten Teil des Stückes beschreibt, wie sie es schafft, jeden Zeugin und Zeugen auseinanderzunehmen.“ Bis sich für sie die Perspektive ändert: „Irgendwann wird sie selbst vergewaltigt und kommt dann in die andere Rolle.“ An dem Stück werde manchmal kritisiert, dass es etwas mit dem erhobenen Zeigefinder daherkommen. „Aber ich bin ja durchaus für den moralischen Zeigefinger zu haben.“
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