Der Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 teilt die Zeit in ein Davor und ein Danach. Nicht nur in Israel, sondern mindestens für Jüdinnen und Juden weltweit. Der Ort, der in dem Moment sichere Zuflucht werden sollte, da Antisemitismus wieder zu Gewalt werden drohte – dieser Ort wurde am 7. Oktober das, was er für Schutzsuchende niemals sein darf: unsicher. Über das Gefühl der Schutzlosigkeit spricht die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch in dieser Folge von „In aller Ruhe“.
Charlotte Knobloch, 1932 in München geboren, überlebte den Holocaust in einem Versteck auf dem Land, 1945 kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück. Das Amt als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern hat sie seit 1985 inne, zwischen 2006 und 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie ist unter anderem mit der höchsten zivilen Ehrung der Bundesrepublik ausgezeichnet worden: dem Großen Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
„Das gehört zu den schrecklichsten Tagen in meinem Leben.“
Charlotte Knobloch erinnert sich daran, wie sie den Shabbat am 7. Oktober erlebt hat: „Ich bin in die Synagoge gegangen. Da fragten mich schon die ersten, die vor mir da waren, ob ich unterrichtet bin. Ob ich weiß, was heute in Israel passiert ist. Ich wusste natürlich nichts.“ Man habe es ihr dann erklärt. „Und ich kann sagen: Das war ein Gottesdienst in meinem Leben, wo ich mehr geweint als gebetet habe.“ Anfangs habe sie noch gehofft, dass die Meldungen vielleicht übertrieben seien, aber: „Es ist passiert. Leider Gottes ist es passiert.“ Einer ihrer ersten Gedanken sei bei dem Teil ihrer Verwandtschaft gewesen, der in Israel lebt: „Wie kann ich meine Enkelin – sie ist alleinerziehend mit ihren zwei Kindern – hierher bringen.“ Denn die Unsicherheit war groß: „Man wusste ja nicht, wie die nächste Stunde aussieht, wie der nächste Tag aussieht. Das gehört zu den schrecklichsten Tagen in meinem Leben.“
In den Wochen nach dem 7. Oktober hätten sie viele Zuschriften erreicht, auch von Nicht-Gemeindemitgliedern, die Knobloch als „kleines, aber ein sehr starkes Licht“ wahrgenommen hat. „Wir haben ganze Aktenordner voll von diesen Zuschriften“, sagt sie. „Es gab Stunden in diesen Tagen, die sehr gut getan haben. Weil es Menschen gibt und damals gab, die sich mit uns befassen, uns Mut zusprechen und uns auch Schutz versprechen.“
„Normalität war für mich ein Traum. Und es ist ein Traum.“
Sie denke aktuell viel an die Geiseln der Hamas, trägt ein silbernes Medaillon, auf dem steht: „Bring them home. Now.“ Die Gedanken an die Geiseln, die in den Tunneln unter dem Gazastreifen festgehalten werden, bringen sie zu einem Schluss: „Das hat man noch nicht erlebt, dass man Menschen schon lebendig in die Erde bringen will.“ Und ihre Gedanken sind bei den Zivilisten: „Man darf die Menschen nicht vergessen, die eigentlich in diesen Gebieten leben müssen. Und nicht die Möglichkeit haben, sich in ein anderes Land zu begeben oder zu fliehen.“
Charlotte Knobloch blickt auch darauf zurück, wie es war 1945 zurück nach München zu kommen, wo sie wieder auf jene Menschen getroffen ist, die sie zuvor wegen ihres Glaubens angespuckt und beleidigt hatten. Und es geht um die fortwährende Hoffnung: „Normalität war für mich ein Traum. Und es ist ein Traum.“ Denn friedliche Zeiten für Jüdinnen und Juden waren in der Geschichte „immer nur gewisse Zeiten. Dann war es wieder vorbei. Ich hoffe nicht, dass das jetzige Judentum auch unter ’gewissen Zeiten’ leben muss.“
Empfehlung von Charlotte Knobloch
Charlotte Knobloch empfiehlt den Film „The Zone of Interest“. Ein Film über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seine Ehefrau Hedwig, die direkt an der Lagermauer leben. Und dort ihre Vorstellung eines Traumlebens verwirklichen – mit einer kinderreichen Familie, Haus und großem Garten. „Der Film zeigt das, was Menschen Menschen antun können.“ Es werden jene Deutschen gezeigt, die die Vernichtung der Juden geleitet haben, aber: „Er spricht den Mensch als solches an.“ Knobloch sagt: „Es wäre gut, wenn der Film Publikum hat.“