Umwege zur Selbstbestimmung – zwischen § 218, Frauenwahlrecht und europäischer Solidarität


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Jun 06 2024 45 mins   3
Grundsätzlich sind in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche illegal. Diese aktuell geltenden Straftatbestände würden allerdings einer verfassungs- und völkerrechtlichen Prüfung nicht standhalten und seien damit dringend zu verändern. Zu diesem Schluss kommt die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung, die ihre Empfehlungen im April 2024 veröffentlichte. In vielen Ländern Europas und weltweit fehlt es an sicheren und legalen Zugängen zu Schwangerschaftsabbrüchen. Für die betroffenen Schwangeren kann dies lebensgefährlich sein. „Die Bundesregierung hat jetzt die historische Chance, den über 150 Jahre alten Paragrafen 218 StGB aus der Kaiserzeit abzuschaffen”, schreibt u.a. das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in einer Pressemitteilung zu den Kommissionsergebnissen und erinnert an die lange Geschichte des § 218 in Deutschland.

Wie konfliktreich diese schon früher war, berichtet Dr. Susanne Knoblich in Folge 8 des DDF-Podcasts. Als Historikerin und Archivarin führt sie durch das Landesarchiv Berlin, in dem das Helene Lange Archiv untergebracht ist, welches sie seit 2002 alleinverantwortlich betreut. Dokumentiert sind hier auch die innerfeministischen Debatten, die den § 218 zu unterschiedlichen Zeiten begleitet haben: „Da gab es im Bund Deutscher Frauenvereine zwei Richtungen. Einmal gab es die gemäßigten Bürgerlichen und dann eher die Radikalen. Die gemäßigten Bürgerlichen waren eindeutig Helene Lange und Gertrud Bäumer, die gegen die Abschaffung des § 218 argumentiert haben. Und dann die Fraktion um Marie Stritt und Camilla Jellinek, die für die ersatzlose Streichung des § 218 schon um 1900 plädierten.“ Dr. Susanne Knoblich zeigt viele Forschungsfelder auf, u.a. zu der Frage, wie sich später auch der aufkommende Faschismus auf die Debatten auswirkte.

Die Frage internationaler Netzwerke aufgreifend reist der Podcast in dieser Folge mitten nach Europa, in das sechstkleinste Land der Welt: Liechtenstein. Kaum bekannt sind die dortigen restriktiven Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Verkürzt gesagt, kann hier auch öffentliches Sprechen über das Thema bereits strafbar sein. Für Akteur*innen des feministischen Vereins Frauen in guter Verfassung erst recht ein Grund, darauf auch international aufmerksam zu machen. Das eigene Wahlrecht für mehr feministische Selbstbestimmung zu nutzen, ist ihnen ein großes Anliegen.

Als europäisches Land ist Liechtenstein zwar nicht EU-Mitglied, dennoch würde auch hier die Situation für Personen, die abtreiben wollen, von sicheren und legalen EU-Standards profitieren, denn viele Abtreibungen finden im europäischen Ausland statt. MitstreiterInnen des Vereins Frauen in guter Verfassung berichten daher von ihren Kämpfen gegen das Tabu Abtreibung – und von der Bedeutung europaweiter Solidarität. Dank ihres beharrlichen und mutigen Einsatzes und der Unterstützung des Europarates feiern sie 2024 nun 40 Jahre Einführung des Frauenstimmrechts. Außerdem wird das Archiv des Vereins in das Landesarchiv des Fürstentums Liechtenstein überführt – zur Einweihung ist dort ab Juli diesen Jahres in Vaduz eine Ausstellung zu sehen.

Mit Blick auf die diesjährige Europawahl ist eine länderübergreifende Sicherstellung des Grundrechts auf reproduktive Selbstbestimmung nun dringender denn je. In ganz Europa ist die extreme Rechte in der Offensive gegen emanzipatorische Rechte, damit auch sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen. Das Fehlen von EU-Standards in diesem Bereich führt zur Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, zu schwerwiegenden Einschränkungen des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen und zu heimlichen und oftmals gefährlichen Abtreibungsmöglichkeiten. Hier braucht es also auch starke europäische Solidaritäten – auch mit Ländern, die nicht Mitglied in der EU sind, wie zum Beispiel das Fürstentum Liechtenstein.